Kerstin Lammer, Den Tod begreifen. Neue Wege der Trauerbegleitung, Neukirchen-Vlyn 5. Aufl. 2010.

Reaktion und Resonanz

Begreifen wird man den Tod wohl oder hoffentlich niemals, gleichwohl: Neue Weg der Trauerbegleitung sind notwendig: Die ebenso umfangreiche, wie die Literatur aufarbeitende Dissertation von Kerstin Lammer engagiert sich vor allem für das, was sie „perimortale Trauerbegleitung“ nennt, also eine früh einsetzende Begleitung Trauernder „um den Tod herum“. Die Autorin teilt ihre Arbeit in drei Teile. Zuerst referiert sie, die „Kontexte“(1), also Umgebungen von Trauerbegleitung und die Bedingungen von Tod und Trauer in modernen westlichen Gesellschaften .Im zweiten Teil systematisiert sie die Trauerforschung und hebt vor allem „die bisher verkannte“ frühe Form der Trauerbegleitung heraus. Im dritten Teil endlich fragt sie am Beispiel der Krankenhausseelsorge nach den Kompetenzen, die jene Seelsorgerinnen und Seelsorger mitbringen sollten.

Diese Arbeit ist eine ebenso gründliche wie auch für die tägliche Praxis notwendige Arbeit. So, wenn Lammer kritisch feststellt, dass Tod und Bestattung weit auseinander getreten sind, was besonders die kirchliche Seite spürt, weil andere Berufsgruppen sich als Ersthelfer zu etablieren suchen. Insgesamt, so die Autorin, beobachte sie eine Tendenz, Tod und Trauer ins Krankenhaus zu schieben (Hospitalisierung), jede Trauerform bis zur Beerdigung im Blumentopf gewähren zu lassen (Privatisierung) und mit der Aufgabe ihrer „Gestaltung“ die Betroffenen allein zu lassen. (Individualisierung).

Demgegenüber klagt sie, das habe ich heraus, die Fähigkeit ein, überwältigenden Erlebnissen Ausdruck, Darstellung und Gestalt zu geben. Sie möchte also ein expressionistisches Element wieder in die Trauerbegleitung einführen. Zu vermerken ist auch die kritische Haltung gegenüber einer buchhalterisch phasenorientierten Trauerbegleitung. Als zu simplizistisch, zu schematisch, zu normativ, zu diagnostisch. Trauer dauert eben unberechenbar lange, oft ein ganzes Leben, oft als dunkler biographischer Hintergrund, der ein Leben erst kostbar macht. Da ist mit Phasen nichts zu gewinnen. Zudem, so Kerstin Lammer, „man betrauert nicht nur, was gewesen, sondern auch, was nicht gewesen ist“.

Auch das Aufgabenmodell, was Kerstin Lammer favorisiert, ist nicht ganz frei von solchen typologischen Gefährdungen: Tod begreifen helfen (Realisation), Reaktionen Raum geben (Initiation), Anerkennung des Verlustes äußern (Validitation), Uebergänge unterstützen (Progression), Erinnern und Erzählen anregen (Rekonstruktion) und Ressourcen und Risiken einschätzen (Evaluation, Prävention) . Natürlich kann man an einigen Stellen Fragen anbringen. So, wenn Kerstin Lammers Trauer (zu freudnah, wie ich finde) als „Reaktion auf einen bedeutenden Verlust“ definiert. Mir klingt „Resonanz“ traulicher im Ohr, weil man als Trauernder damit aus dem Reiz-Reaktionsschema herauskommt und vor allem viel aktiver wahrgenommen wird oder sich auch selber empfindet. Aber darüber müsste man genauer reden.

Wolfgang Teichert, Institut für Trauerarbeit

Kerstin Lammer, Den Tod begreifen. Neue Wege der Trauerbegleitung. Mit einem Vorwort von Yorick Spiegel, Neukirchen-Vlyn 5. Aufl. 2010.
ISBN: 978-3-7887-2019-3