Unter die Haut und mitten ins Herz

Namen bleiben bestehen, Daten sind unvergessen, Symbole erinnern an die Beziehung: Eine Wanderausstellung zeigt trauernde Menschen und ihre Tattoos und lässt sie die Geschichte hinter den Bildern erzählen. Zurzeit sind diese Fotos und Texte in Wiesbaden, danach in Flensburg zu sehen.

„Früher war ich nie für Tattoos, ich fand, mit ihnen verschandeln sich die Menschen den Körper“, sagt Angela Meier im Interview mit dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR). Heute denke sie darüber ganz anders, ergänzt die Mittfünzigerin: „Denn ich habe erlebt, dass jedes Tattoo seine eigene Geschichte hat.“ Und die hat auch das tätowierte Bild auf der Unterseite ihres linken Oberarms, das sie seit dem Unfalltod ihres erwachsenen Sohnes trägt.

Zwischen Festhalten und Loslassen

„Trauer vergeht nicht, und darum hält der rechte Flügel das Herz umfangen“, erklärt sie im MDR-Filmbeitrag ihr rot-blaues Tattoo mit dem Schriftzug und den zwei Schwingen. Der linke Flügel dagegen sei geöffnet und weise nach vorne: „Das ist ein Zeichen dafür, dass man auch loslassen muss.“

Die verwaiste Mutter ist eine von mehr als 100 Menschen mit einem Trauer-Tattoo, die einem Aufruf in den Sozialen Medien der Fotografin Stefanie Oeft-Geffarth und der Trauerbegleiterin und Journalistin Katrin Hartig gefolgt sind. Hartig und Oeft-Geffarth interviewten und fotografierten über viele Monate diese trauernden Menschen.

Ein Ausdruck der Verbundenheit

Die Geschichte hinter den Tattoos und der ganz individuellen Trauer veröffentlichten sie in einem Buch sowie bei der Wanderausstellung „Unter die Haut“, die derzeit noch bis 19. November 2021 im „Kirchenfenster Schwalbe 6“ in Wiesbaden gezeigt wird.

„Es ist die optische und nach außen getragene Verbindung zu meiner Mama“, beschreibt eine 23-Jährige ihr Tattoo mit dem Porträtbild, das bei der Ausstellung zu sehen ist. Alle Protagonistinnen und Protagonisten machen deutlich: Mit den tätowierten Bildern und Buchstaben bleiben die Namen bestehen, werden Daten nicht vergessen und erinnern Symbole an die Beziehung zu den Verstorbenen.

Eine körperlich spürbare Erinnerung

Viele Beteiligte beschreiben den Weg von der Entscheidung für ein Tattoo über das Nachdenken über seine Gestaltung bis zur teils viele Stunden dauernden Gravur als eine Art der Trauerverarbeitung. Die in unserer Kultur früher übliche schwarze Trauerkleidung sei von den Tattoos abgelöst worden, sagt Norbert Mucksch vom „Bundesverband Trauerbegleitung“ gegenüber der Deutschen Presseagentur.

Für viele Menschen seien die oft gut sichtbaren Bilder und Symbole auch eine Aufforderung an andere Menschen, das Thema anzusprechen, um aus der Sprachlosigkeit zu kommen, meint der Theologe und Sozialarbeiter Mucksch.

Ausstellungsorte:

  • Wiesbaden: Bis 19. November 2021 ist „Unter die Haut“ im evangelischen Projekt „Kirchenfenster Schwalbe 6“ an der Schwalbacherstraße 6 in 65185 Wiesbaden zu sehen.
  • Flensburg: Vom 9. bis 22. Dezember 2021 wird die Ausstellung in der evangelischen St. Nikolaikirche am Nikolaikirchhof 8 in 24937 Flensburg gezeigt.
  • Weitere Orte und Termine werden laufend hier veröffentlicht.

Foto: Stefanie Oeft-Geffarth

Katrin Hartig aus Magdeburg ist Fernsehjournalistin und Trauerbegleiterin sowie Sprecherin der „Verwaisten Eltern und trauernden Geschwister in Sachsen-Anhalt e.V.“. Sie führte die Interviews und entwickelte die Texte für die Publikationen.
Stefanie Oeft-Geffarth ist Unternehmerin (conVela) und Künstlerin aus Halle. Sie fotografierte die Protagonistinnen und Protagonisten in ganz Deutschland und ist für die Gestaltung des Projekts verantwortlich.

07. November 2021