Lebendiger Trost in den Wogen

Hier schwirren Insekten, Pflanzen blühen auf und Menschen aus ganz Deutschland kommen zur Ruhe: Das neue Urnenfeld der Ev-luth. Christus-Kirchengemeinde Borkum bietet Biodiversität und pflegefreie Erinnerungen.

Im Hochseeklima gedeihen Grasnelke, Hornkraut und dornige Hauhechel: Ihre Blätter verdunsten wenig Wasser und reflektieren das Sonnenlicht, ihre Wurzeln greifen im sandigen Boden, Stacheln schützen sie vor dem Biss der Wildkaninchen. Auf dem neuen und 400 Quadratmeter großen Urnenfeld der Evangelisch-lutherischen Christus-Kirchengemeinde Borkum wurden diese und andere an Wind, salzhaltige Luft und Trockenheit angepasste Pflanzen gesetzt. Jetzt wachsen sie, breiten sich aus und locken Schmetterlinge, Libellen, Köcherfliegen und andere Insekten an.

Ein Ort für das Leben: Auf der Grabanlage finden Insekten und Pflanzen ihr Zuhause

„Der Ort, an den wir unsere Toten bringen, soll ein Zeichen für das Leben sein“, sagt Jörg Schulze, Pastor der Borkumer Christus-Kirchengemeinde. Die im vergangenen November eröffnete Gemeinschaftsgrabanlage für 180 Urnen auf dem Friedhof der Gemeinde an der Süderstraße trägt daher zu einer lebendigen Flora und Fauna auf der 31 Quadratkilometer großen ostfriesischen Insel bei.

Ein Schiff für die Andacht

„Biodiversität auf kirchlichen Friedhöfen“, heißt das mit Mitteln der Europäischen Union und des Landes Niedersachen geförderte Projekt der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, an dem die Christus-Kirchengemeinde auf Borkum als eine von insgesamt neun Kirchengemeinden in dem Bundesland teilnimmt. „Es entstehen jeweils an ihren Standort angepasste Biotope, die dem Insektensterben und Artenverlust entgegenwirken“, sagt Joana Cavaco, Referentin für Umwelt- und Klimaschutz beim „Haus kirchlicher Dienste“ in Hannover.

Tatkräftig: Ehrenamtliche halfen mit beim Anlegen des Grabfelds

Die Staudenflächen und Blumenwiesen, die dichten Hecken aus einheimischen Gehölzen und die blühenden Grabfelder sind grüne Oasen für Tiere, Insekten und Pflanzenarten. „Sie erfreuen außerdem das menschliche Auge“, das erlebt Gemeindepastor Jörg Schulze häufig. Viele Bewohnerinnen und Bewohner der Insel und auch ihre Feriengäste verharren auf dem Weg zum Strand am neuen Urnenfeld und genießen seinen Anblick. „Ruhen inmitten der Wogen“ heißt die Anlage zwischen Nordsee-Aquarium und Kleinem Leuchtturm, von hier aus streift der Blick übers Meer, hier steht ein angedeutetes Schiff aus Lärchenholz mit einem Holzkreuz als Mast, ein Stück daneben liegt ein großer Anker.

Ein Anker für das Andenken

Wie die „Arche Noah“ ist das Schiff ein Symbol für Geborgenheit und Schutz im tosenden Meer, das durch unterschiedlich hohe und blau blühende Stauden dargestellt wird. An dem Boot können sich Besucherinnen und Besucher ausruhen, auch Trauerfeiern sind hier möglich. „Das Kreuz erinnert an den gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus, der Anker ist ein Zeichen für den Glauben, der uns Halt gibt im Leben und Hoffnung über den Tod hinaus“, erklärt Pastor Jörg Schulze. Die Fläche um den Anker dient außerdem als Ablage für Blumen, die Angehörige im Gedenken an ihre Verstorbenen bringen.

Hoffnung und Halt: Der Anker symbolisiert den Glauben

Mit dem neuen Feld geht die Kirchengemeinde nicht nur auf den Klimaschutz, sondern ebenso auf eine veränderte Bestattungskultur ein. „Bei uns wünschen derzeit nur noch 20 Prozent der Menschen eine Begräbnisstätte mit Sarg und Pflegeaufwand“, berichtet Jörg Schulze. In einer zunehmend mobileren Gesellschaft gebe es zudem immer weniger Orte, die für eine Familie und einen Freundeskreis als Heimat angesehen würden. „Wir sind Nomadinnen und Nomaden, unsere Kinder und Enkel leben meist verstreut an mehreren Orten“, meint der Pastor. „Warum sollen die Menschen daher nicht an einem Platz beerdigt werden, an dem sie zum Beispiel in ihren Ferien glücklich waren“, ergänzt er.

Gräber für Menschen aller Herkunft

Und so werden auf dem Urnenfeld neben den Menschen aller Konfessionen und Religionen von der derzeit 5200 Bewohnerinnen und Bewohner zählenden Insel Borkum auch Gäste aus anderen Orten Deutschlands bestattet. „Wir haben bis jetzt 30 an einem Urnengrab Interessierte, die Hälfte von ihnen lebt außerhalb unserer Insel“, berichtet Pastor Jörg Schulze.

Die Nachfrage ist groß: Menschen interessieren sich für eine Grabstätte, die Schmetterlinge für die vielen Blüten

Das für Angehörige pflegefreie Urnengrab mit einer Liegedauer von 20 Jahren kostet 1200 Euro, hinzu kommen nur noch die Kosten für ein Namensschild an einer 50 Zentimeter hohen Stele. Die Nachfrage ist groß, und acht der Gräber auf dem neuen Feld sind bereits belegt. Auch für viele der Ehrenamtlichen der Christus-Kirchengemeinde, die im Vorjahr auf dem Feld das Unkraut gejätet, Pflanzen gesetzt und einen Zaun zu ihrem Schutz gezogen haben, steht fest: „An diesem Ort möchte ich später selbst bestattet werden.“

Text: Sabine Eisenhauer
Fotos: Jörg Schulze/Christus-Kirchengemeinde Borkum

27. Februar 2020