Beim Namen gerufen, mit Namen verabschiedet

Anonym und preiswert, so bestatten Ordnungsämter die Menschen, für deren Begräbniskosten kein Nachlass und keine Angehörigen aufkommen. Damit sie nicht einfach verschwinden, wird ihrer wie in Essen und Köln namentlich bei Gottesdiensten gedacht. Über die zunehmenden Sozialbestattungen und den Umgang mit ihnen informiert eine Broschüre der Diakonie Hessen.

„Unsere verstorbenen Mitmenschen gehören zur großen Gemeinschaft der von Gott geliebten Menschen“, betont der evangelische Pfarrer Lars Linder beim Gottesdienst im Dom zu Essen. Bei der ökumenischen Feier wird wie an jedem zweiten Dienstag im Monat der verstorbenen Menschen in Essen gedacht, die von der Stadt anonym bestattet worden sind. Pfarrer Linder entzündet für jeden von ihnen ein Licht an der Osterkerze. „Sie ist uns Sinnbild des neuen Lebens in der Auferstehung Jesu Christi“, sagt der Gemeindepfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Essen-Kettwig. Das Licht des Lebens solle für jeden und jede der Verstorbenen leuchten, fährt er fort, er entzündet nacheinander die Kerzen und nennt dabei die Menschen beim Namen.

Genannt und erinnert

In diesem Monat sind es 24 Männer und Frauen, die bei dem Gottesdienst bedacht werden. Die meisten von ihnen sind über 60 Jahre alt, manche fast 90, aber auch eine 33-Jährige und ein 44-Jähriger werden namentlich verabschiedet. „Was sie an Schwerem erlebt haben, umfange Du, Gott, mit deiner Nähe“, betet Pfarrer Linder. Die Namen der Verstorbenen trägt er in ein Gedenkbuch ein, dass in der Kirche weiterhin offen ausliegt. Die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ unterstützt das Gedenken, indem sie in den Wochenendausgaben ihrer Essener Zeitungen kostenlose Traueranzeigen mit den Namen der Verstorbenen veröffentlicht.

Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Essen hatte zusammen mit der Stadtverwaltung die „Gottesdienste für die Unbedachten“ im Jahr 2007 ins Leben gerufen. In der Stadt mit ihren rund 580.000 Einwohnerinnen und Einwohnern sind seitdem monatlich zwischen 20 und 40 Menschen verabschiedet worden. Ihre Bestattung hatte das Essener Ordnungsamt gemäß dem nordrhein-westfälischen Bestattungsgesetz übernommen, da die Verstorbenen mittellos waren, es keine Angehörigen gab oder diese das Erbe ausgeschlagen hatten. Zuständig für diese sogenannten Ordnungsamtsbestattungen sind jeweils die Städte oder Gemeinden, in der die Menschen gestorben sind – und nicht die, in denen sie zuletzt ihren Wohnsitz hatten.

Amtlich und kostengünstig

Wie viel Geld die Kommunen für diese Bestattungen ausgeben, ist unterschiedlich. So gab der Landkreis Offenbach auf eine Anfrage der Partei „Die Linken“ an, dass durchschnittlich 2 500 bis 3 000 Euro pro Bestattung bezahlt werde. Für die Stadt Mülheim an der Ruhr erklärte deren Pressesprecher Volker Wiebels gegenüber der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, dass das Amt pro Fall maximal 900 Euro veranschlage.

Die Kosten einer Bestattung übernehmen die Kommunen durch ihre Sozialämter auch, wenn Angehörige sie nicht aufbringen können. Seit dem Wegfall des Sterbegelds im Jahr 2004 sei die Anzahl der Sozialbestattungen aufgrund von Mittellosigkeit deutlich gestiegen, heißt in der jetzt aktualisierten Broschüre „Abschied in Würde – Handreichung zur Sozialbestattung“ von Diakonie Hessen und den Landeskirchen in Hessen und Nassau und Kurhessen-Waldeck. Während es im Jahr 2004 bei 818.271 Sterbefällen 33.000 Sozialbestattungen gegeben habe, sei ihre Anzahl schon sechs Jahre später um 64 Prozent gestiegen.

Entsorgt und verschwunden

Trauerfeiern oder individuelle Grabsteine beinhalten die kommunalen Finanzierungen nicht. Bei Ordnungsamtsbestattungen werden Urnen meist gesammelt und auf einem Gräberfeld anonym beigesetzt. „Unter dem Preisdiktat kommt es in einigen Kommunen sogar zu einer Art Leichentourismus, da die Einäscherung in benachbarten Bundesländern oder östlichen Nachbarländern preiswerter ist“, beschreibt es die Handreichung „Abschied in Würde“.

„Die Menschen werden im gesetzlichen Sinne regelrecht entsorgt. Es gibt überhaupt keine Form der Erinnerung an ihr Leben, und das eben wollen wir mit unserem Gedenken ändern“, begründete 2007 der mittlerweile verstorbene evangelische Krankenhausseelsorger Gerd Hohagen die Einführung dieser neuen Gedenktradition. Vorreiter solcher Abschiedsfeiern war die Evangelische AntoniterCityKirche in Köln: Bei ökumenischen Gottesdiensten werden seit 14 Jahren die Namen der ohne Trauerfeier bestatteten Menschen am Taufstein der Antoniterkirche verzeichnet, damit die Erinnerung an sie dauerhaft und öffentlich wachgehalten wird.

Betrauert und unvergessen

Ein Gedenken, über das vielerorts verstärkt nachgedacht wird. Denn die Anzahl der anonymen Bestattungen nimmt zu – selbst in ländlichen Regionen. „Im Jahr 2017 sind 27 Menschen durch unser Ordnungsamt bestattet worden, in diesem Jahr waren es bereits 40“, erklärt Siegfried Frank, Pressesprecher der rund 51.000 Einwohnerinnen und Einwohner zählenden Kreisstadt Gummersbach in Nordrhein-Westfalen. Über Gottesdienste für diese Menschen sei intensiv nachgedacht worden, sagt Frank, der auch Presbyter der Evangelischen Kirchengemeinde Derschlag im Gummersbacher Stadtgebiet ist. Doch die Idee wurde verworfen. „Wir wissen ja nicht, ob die Verstorbenen das gewollt hätten oder ob sie nicht sogar die Kirche zu Lebenszeiten abgelehnt haben“, erklärt Siegfried Frank.

Über diesen Standpunkt sei in Essen ebenfalls gesprochen worden, berichtet Pfarrer Lars Linder. „Wir sind aber zu dem Schluss gekommen, dass wir in den Gottesdiensten bezeugen, dass kein Mensch bei Gott vergessen ist – egal, wie der Mensch selbst über Gott gedacht hat.“ Schließlich gehe es auch um die Menschen, die trauernd zurückblieben: „Mittlerweile nehmen an unseren Feiern bis zu 150 Menschen teil, viele von ihnen haben einen der Verstorbenen gekannt.“ Diese Menschen seien froh, mit der Feier und dem Gedenkbuch einen Ort für ihre Trauer zu finden, das erfährt Pfarrer Linder bei vielen Gesprächen.

Broschüre informiert und gibt Tipps

„Menschen brauchen den erlebbaren Umgang mit den Toten genauso wie das gemeinschaftliche Trauern“, heißt es daher auch in der Broschüre „Abschied in Würde “ von Diakonie und Landeskirchen in Hessen. Und das betreffe ebenso die Angehörigen, die dem Wunsch eines Verstorben nach einer anonymen Bestattung nachgekommen seien, da dieser ihnen die Grabpflege nicht zur Last legen wollte.

Welche Angebote die Kirchengemeinden und diakonische Einrichtungen für Trauerfeiern und namentliche Gedenken bei Sozialbestattungen bereithalten können, zeigt die Broschüre mit Beispielen aus der Praxis: Beschrieben werden unter anderem das ehrenamtliche Begleiten bei anonymen Beisetzungen, die Finanzierung von Gräbern durch Spenden oder ihre Pflege durch Freiwillige. Die Handreichung kann im Online-Shop der Diakonie Hessen in Papierform kostenlos bestellt werden.

Anstehende Gedenk-Gottesdienste:

Bonn: Viermal im Jahr lädt die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Bonn zu einem Gedenkgottesdienst ein. Nächster Termin ist Samstag, 23. November 2019, um 12 Uhr in der kath. Namen-Jesu-Kirche an der Bonngasse 8 in Bonn.

Essen: Die ökumenischen Gedenkgottesdienste finden an jedem zweiten Dienstag um 17 Uhr statt, in 2019 im kath. Dom am Burgplatz 2 in Essen. Nächste Termine sind der 12. November und 10. Dezember 2019.

Köln: Die ökumenischen Gedenkgottesdienste finden an jedem dritten Dienstag im Monat um 18 Uhr statt. Nächste Termine sind Dienstag, 17. Dezember 2019, in der ev. Antoniterkirche an der Schildergasse 57 in Köln und Dienstag, 17. Dezember 2019, in der kath. Kirche St. Aposteln am Neumarkt 30 in Köln.

Text: Sabine Eisenhauer
Bild: Das Gedenkbuch der „Gottesdienste für Unbedachte“ in Essen. (Foto: Ev. Kirchenkreis Essen/Stefan Koppelmann)

27. Oktober 2019