Robert Schumann
In der Fremde
Aus der Heimat hinter den Blitzen rot
Da kommen die Wolken her,
Aber Vater und Mutter sind lange tot,
Es kennt mich dort keiner mehr.
Wie bald, ach wie bald kommt die stille Zeit,
Da ruhe ich auch, und über mir
Rauscht die schöne Waldeinsamkeit,
Und keiner kennt mich mehr hier.
Joseph von Eichendorff
Das Ich des Gedichtes denkt sich in die Heimat zurück, aus der es stammt. Die Wolken kommen von dorther, und die Blitze entzünden die Erinnerung. „Dort“ liegen Vater und Mutter begraben. Aber es ist lange her, dass sie gelebt haben, und noch weiter liegt es zurück, dass er selbst, der sich jetzt erinnert, von dort weggegangen ist. Niemand kennt ihn mehr am Ort seiner Herkunft. Würde er dort durch die Straßen gehen, wäre er wie ein Fremder, und niemand spräche ihn an.
„Hier“ kennt man ihn, wie man „dort“ seine Eltern kannte. Noch kennt man ihn; denn es ist ja nicht mehr lang bis zu der „stillen Zeit“, wenn auch er „ruht“, also begraben sein wird. Und wie die Wolken, die aus der Heimat herüberziehen, nichts von den Eltern wissen, so wird die „schöne Waldeinsamkeit“ (Schumann hat daraus die „stille Waldeinsamkeit“ gemacht) nichts von ihm wissen. Sie wird rauschen über ihm, wie sie über allen anderen Toten rauscht, die dort liegen. „Und keiner kennt mich mehr hier.“ Die Toten sind einander unbekannt, und sie sprechen nicht miteinander. Und auch die, die noch am Leben sind, werden aufhören, von ihm zu sprechen. Niemand wird sich mehr an ihn erinnern, und auf dem Grabstein wird ein fremder Name stehen.
So ist es. Wir gehen fort aus dem Ort unserer Herkunft, werden woanders heimisch, so dass man uns kennt und zur Kenntnis nimmt, wer wir sind und was wir tun. Eine Zeitlang ist das so, und manchmal kommt uns diese Zeit lang vor, die unruhig, geschäftig und nicht „still“ ist. Aber es kommt die „stille Zeit“, in der ich „ruhe“ für immer, niemand weiß mehr etwas von mir, und die Welt ist ein fremder Ort für mich.
Wir können nichts daran ändern, dass wir vergehen. Aber wir können davon sprechen, wie das Ich des Gedichtes es tut, das in ihm ja bleibt. Und wenn ein Lied daraus wird wie bei Schumann, dann ahnen – oder hören – wir, dass wir nicht von allen vergessen sein werden. Dass unsere Namen im Himmel geschrieben sind.
Klaus Eulenberger