Was tun, wenn Gott der Retter schläft? – Ein Lied gegen den Tod (Psalm 30)
Gott lächelt und möchte, dass die Menschen lächeln. So soll er sein, so wird er hoffentlich auch sein. Und wenn Gott jemanden weinen lässt, dann findet er ein Taschentuch, das die Tränen trocknet. Denn sein Zorn währet einen Augenblick und lebenslang seine Gnade. Den Abend währet das Weinen, aber des Morgens ist Freude. (Ps 30,6) Gott ist ein Gott, auf den ich mich verlassen kann, singt dieses Lied. Und ich summe die Gewissheit gerne mit. Wie die Sonne wiederkehrt, so sicher wird Gott leuchten. Auf jeden Abend folgt ein Morgen. Aus dem Ende wächst sofort ein Anfang. Und ich sagte jedem, als es mir gut ging: Ich werde nimmermehr wanken. (Ps 30,7) Das ist eine Ruhe, die durch nichts erschüttert werden kann. Dafür verantwortlich ist Gott höchstpersönlich – was nur einen Haken hat. Wenn Gott aus seiner Garantie der Sicherheit ausschert, geht die Sonne zwar noch immer auf – doch sein Taschentuch suche ich vergeblich. Als du dein Antlitz verbargest, erschrak ich. (Ps 30,8) Plötzlich ist Gott anders, unverständlich, rätselhaft. Meine Haut wird dünn. Gott schiebt mich an den Abgrund. Ich sehe Einsamkeit, die Angst, ich blicke hinunter in den Tod. Und Gott, der Retter, schläft. Hat er etwa abgedankt? Ich will beten, ach, was heißt schon beten: Ich werde rufen, schreien, Gott da oben am Zipfel seines Kleids erwischen. Nein: Ich werde ihn mit beiden Händen packen und dann schütteln, ihn mit Füßen treten. Alle Anstandshüllen lasse ich jetzt fallen. Schluss mit süßen Worten, schüchtern lasse ich mich nicht begraben. Ich werde Gott erpressen: Hochverehrter, du anscheinend gar nicht mal so guter Gott, du bringst dich um deinen guten Ruf, wenn du mich jetzt fallen lässt. Was nützt dir mein Blut, wenn ich zur Grube fahre? Wird dir auch der Staub danken und deine Treue verkündigen? (Ps 30,10) Ob jemand, der so mit Gott spricht, die Freude wiederfindet, kann niemand garantieren. Doch wenn nichts mehr hilft, dann hilft es vielleicht, Gott zu rügen. Ich bitte ihn zum Tausch. Hilfst du mir, dann werde ich dir singen: Du hast mir meine Klage verwandelt in einen Reigen, du hast mir den Sack der Trauer ausgezogen und mich mit Freude gegürtet, dass ich dir lobsinge und nicht stille werde. (Ps 30,12.13)
Aus: Georg Magirius, Mit 100 Fragen durch die Bibel, Evangelische Verlagsanstalt 2008.