„Auf unseren Friedhöfen ist vieles möglich“

Kirche lieferte über Jahrhunderte den Rahmen beim Umgang mit Tod und Trauer. Jetzt möchten es die Menschen individueller. Doch gerade bei existenziellen Fragen sei der Glaube immer noch gefragt, sagt Oberkirchenrätin Erika Marten vom Referat für Grundstücksangelegenheiten und Friedhöfe der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers. Im Interview spricht sie über kirchliche Bestattungen und Trauerbegleitungen.

Individueller und ohne die Kirchen: Laut Kongress „Heilsame Abschiede“ in Köln und der dort präsentierten Studie wünschen sich immer mehr Menschen solch eine Bestattung. Entspricht das Ihrer Einschätzung?

Erika Marten: Gerade bei existenziellen Ereignissen im Leben eines Menschen sind die Kirchen gefragt, Orientierung zu geben. Das ist jedenfalls mein persönlicher Eindruck, denn anders kann ich mir die gut besuchten ökumenischen Gedenkgottesdienste nach traumatischen Ereignissen wie Terroranschlägen oder Naturkatastrophen nicht erklären.

Eine Veränderung der Bestattungskultur beobachte ich dagegen auch, bin mir dabei allerdings nicht sicher, ob sie immer Ausdruck der Individualisierung ist. Meiner Meinung nach hat sich einfach der Trend gewandelt. Waren früher Sargbestattungen üblich, muss man sich nun rechtfertigen, wenn man nicht verbrannt werden möchte. Überspitzt ausgedrückt: Die wahren Individualisten lassen heute ihren Sarg in einem Doppelwahlgrab bestatten und ihr Grab von Angehörigen mit Lieblingsblumen bepflanzen. Und ob Erd- oder Urnenbestattung, beides ist auf den 938 evangelischen Friedhöfen unserer Landeskirche möglich.

Was ist auf kirchlichen Friedhöfen noch möglich?

Auf kirchlichen Friedhöfen ist vieles möglich – die Menschen sollten einfach mit uns darüber sprechen. In unserer Landeskirche ist die Gestaltung von Grabsteinen zum Beispiel nicht reglementiert.

Und wenn etwas nicht zugelassen ist, hat das einen guten Grund. In unserer Landeskirche gibt es so etwa keinen Bestattungswald, keine Asche-Verstreuung und keine anonymen Gräber. Denn dies entspricht zum einen nicht unserem christlichen Menschenbild, das hier auf dem alttestamentarischen Vers aus Jesaja beruht: „Ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen, Du bist mein“. Zum anderen wollen wir, dass Menschen auch mit zunehmendem Alter und mit eingeschränkter Mobilität ein Grab regelmäßig besuchen können. Daher bieten wir anstelle eines abgelegenen und nicht barrierefreien Bestattungswalds auf vielen unserer Friedhöfe das Bestatten unter Bäumen an.

Allen unseren Friedhofsträgern ist bewusst, dass gesellschaftliche Veränderungen auch vor dem Friedhof nicht haltmachen. Daher wird nach neuen Wegen gesucht, Bewährtes jedoch nicht abgeschafft – gemäß dem Bibelvers „Prüft aber alles und das Gute behaltet“.

Was bietet die Kirche trauernden Menschen zusätzlich zum praktischen Akt der Bestattung?

Erika Marten: Die Kirche kann mit ihren traditionellen Angeboten zum heilsamen Abschiednehmen beitragen. Bis heute gibt es bei kirchlichen Bestattungen die Gelegenheit, mit dem verstorbenen Menschen ins Reine zu kommen: Es kann verziehen werden, was er uns oder was wir ihm schuldig geblieben sind.

Als evangelische Kirche bieten wir den Menschen vor allem Gespräche an – etwa über ihre Bewegründe für eine bestimmte Bestattungsform. Dabei klärt sich, ob sie wirklich anonym bestattet oder lediglich ihren Angehörigen die Grabpflege ersparen wollen. Dann finden wir Lösungen, bei denen auch die Trauer der Hinterbliebenen berücksichtigt wird.

Meiner Meinung nach sind gerade die kirchlichen, diakonischen und caritativen Trauerdienste mit ihren hochprofessionellen Angeboten schon seit langem Vorreiter, wenn es um das Begleiten von Menschen nach einem Verlust geht. Beim Kongress in Köln, an dem ich auch teilgenommen habe, hätte ich sie gerne vorgestellt gesehen. Denn ob modern oder traditionell: Die kirchlichen Riten sind gar nicht so viel anders und ebenso heilsam wie die in Köln präsentierten, eher kommerziellen Angebote.

Befürchten Sie eine Kommerzialisierung der Bestattungs- und Trauerangebote?

Erika Marten: Ich frage mich, welche spirituelle Begleitung kommerzielle Angebote bieten können. Antworten erhoffte ich mir unter anderem beim Vortrag von David Roth vom Bestattungsinstitut „Pütz-Roth“ in Bergisch Gladbach, den er beim Kongress in Köln unter dem Titel „Zeiten des Abschieds. Unsere Erfahrungen mit der Trauerbegleitung der neuen Art“ hielt. Aber anstelle von Informationen über die Probleme und Bedürfnisse von nicht konfessionell gebundenen Menschen, gab es dann eine alleinige Fokussierung auf das Unternehmen und seinen privaten Friedhof.

Darüber hinaus stellt sich für mich die Frage, ob alle individuellen und gegen Bezahlung erfüllbaren Wünsche an private Träger den Vorstellungen einer breiten Bevölkerungsschicht entsprechen. Denn wenn der Friedhof eine Ansammlung von vielen kleinen privaten Räumen der Trauer auf einem großen öffentlichen Gelände ist, sollte dort jeder Mensch ungestört trauern dürfen. Kirchliche Friedhöfe wollen dazu einen Beitrag leisten und Menschen in ihrer Trauer auch Schutz bieten.

„Mit der Kirchengemeinde fand ich keinen Termin für die Bestattung“, diese Kritik wurde nicht nur beim Kongress laut, sondern wird von vielen Menschen geäußert. Ist sie berechtigt?

Erika Marten: Unsere Pfarrerinnen und Pfarrer bemühen sich in der Regel sehr, alle Anfragen zu erfüllen. Da häufig an Samstagen allerdings auch Konfirmandenunterricht, Taufen und Trauungen stattfinden, können sie nicht jeden Terminwunsch erfüllen.

Trauergottesdienste sollten jedoch an Freitagnachmittagen und samstags möglich sein. Als Kirchenleitung thematisieren wir solche Terminprobleme, wenn sie an uns herangetragen werden. Denn es ist uns wichtig, dass möglichst viele Menschen am Trauergottesdienst teilnehmen können.

Weitere Beiträge: Bericht auf trauernetz.de über den Kongress „Heilsame Abschiede“ in Köln

Interview: Sabine Eisenhauer
Bild: Auf dem Friedhof in Hamburg-Volksdorf (Foto: Gaby Gerster)

17. November 2019