Den Friedhof mal anders denken

Der Kongress „Heilsame Abschiede“ in Köln prognostizierte das Ende der traditionellen Bestattungs- und Trauerkultur und stellte kundenorientierte Alternativen vor.

„Guck nicht so blöd, ich würde auch lieber am Strand liegen.“ So steht es auf einem Schild an dem Grab, dessen Foto der Soziologe Thorsten Benkel beim Kongress „Heilsame Abschiede“ in Köln präsentiert hat. Der Lehrstuhlinhaber der Universität Passau zeigte den mehr als 300 Teilnehmenden im Kölner Maternushaus noch viele weitere Beispiele dafür, was in anderen Ländern an Begräbnisstätten möglich ist: Auf deren Steinen springt die Videospielfigur „Super Mario“ in die Luft, in sie wurden eine lachende Mickey Mouse oder ein Cannabis-Blatt gemeißelt, andernorts verkündet eine Inschrift: „Game over“.

Auch in Deutschland verbreite sich der Wunsch nach einer solchen einzigartigen Gestaltung, sagte Soziologe Benkel. Doch juristische Vorgaben und traditionelle Friedhofsordnungen stünden dem im Wege, eine Liberalisierung der Friedhofspflicht sei daher notwendig. Wie die Angebote der Bestattungskultur den heutigen Anforderungen der Trauer besser gerecht werden können, das war Thema des Kongresses, den der Verein „Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal“ initiiert hatte. Der Verein ist Träger des Sepulkralmuseums in Kassel.

Begräbniskultur in der Krise

„Die traditionelle Begräbniskultur ist in die Krise geraten, weil sie auf den Wertewandel der Gesellschaft keine treffende Antwort findet“, sagte der Publizist und Unternehmensberater Matthias Horx beim Kongress in Köln. Der aus Düsseldorf stammende und in Wien lebende Gründer des „Zukunftsinstituts“ ist der Meinung, dass angesichts des gesellschaftlichen Wandels individuelle Vorstellungen und Empfindungen der Trauernden weit stärker in den Mittelpunkt rücken sollten, als dies der Friedhof von heute zulasse. „Ansonsten wird die Trauer immer weiter an den Rand der Gesellschaft gedrängt, das Sterben weiter tabuisiert.“

Zum Austausch über zukünftige Friedhöfe trafen sich beim Kongress die Mitarbeitenden aus Trauerbegleitung, Hospizarbeit und Friedhofsverwaltungen, aus Bestattungsunternehmen, Stadtverwaltungen und Kirchen. In Referaten und Podiumsgesprächen informierten Expertinnen und Experten über biologische Vorgänge des Trauerns, über Kunstprojekte, Bücher oder über künstliche Intelligenzen, die schon bald aufgrund der digital hinterlassenen Daten eines Verstorbenen in seinem Stil weiterkommunizieren können. Es gab Gespräche, Studien und Vorträge über die Bedürfnisse der Menschen und ihre Einschränkung durch gesetzliche Gegebenheiten.

Am Grab trauern die wenigsten

„Das Traditionelle gilt nicht allen, aber doch immer mehr Teilen der Bevölkerung als eine Einschränkung ihrer prinzipiellen Handlungs- und Willensfreiheit“, fasste Soziologe Benke beim Kongress die Ergebnisse einer sozialwissenschaftlichen Studie von Zukunftsinstitut und Universität Passau zusammen. Dafür waren zwei Jahre lang 126 Interviews geführt und mehr als 900 Personen schriftlich befragt worden. Der Aussage „Die Gestaltung der Grabstätten sollten alleine die Trauernden entscheiden“ stimmten dabei 55 Prozent der Befragten zu. Die Aussage „Das Grab ist für mich alleiniger Trauerort“ lehnten dagegen 62 Prozent von ihnen ab.

„Durch Globalisierung und Mobilität haben viele Menschen keinen Heimatort, an dem sie begraben werden wollen“, erklärte in Köln der ebenfalls an der Studie beteiligte Soziologe Matthias Meitzler. Ort und Gestaltung der Begräbnisstätten seien auch aufgrund sich wandelnder Familienstrukturen oft ungeklärt: „Denn wem gehört das Grab, wenn der Verstorbene zweimal verheiratet war und Kinder aus beiden Ehen hat?“

Erst nachdenken, dann beisetzen

Auch Meitzler wünscht sich daher mehr Freiraum für die persönlichen Wünsche und Bedürfnisse trauernder Hinterbliebener. „Es wäre doch toll, wenn eine Urne monatelang beim Bestatter stehen könnte, bis die Trauernden sich über deren angemessene Beisetzung klargeworden sind.“ Juristisch ist das derzeit nicht möglich. So schreibt etwa das Gesetz über das Friedhofs- und Bestattungswesen in Nordrhein-Westfalen vor, dass die Totenasche innerhalb von sechs Wochen beigesetzt werden muss.

„Wir dürfen aber den Menschen keinen Beisetzungsort aufzwingen, der für sie keine Funktion und damit keinen Nutzen hat. Wir müssen ihnen einen Ort schenken, an dem sie mit ihrer Trauer so frei umgehen dürfen und können, wie es ihnen guttut“, forderte beim Kongress Michael Lehofer, Psychotherapeut und Facharzt für Psychiatrie und Neurologie aus Graz.

Grillen auf dem Friedhof

Wie das in der Praxis funktionieren kann, schilderte Bestattungsunternehmer David Roth aus Bergisch Gladbach. Sein Unternehmen Pütz-Roth betreibt mit Genehmigung der Stadt einen privaten Friedhof, der eine vielfältige Grabgestaltung und Nutzung zulässt: Auf dem Areal gibt es Konzerte, eine Kindertagesstätte der AWO und sogar das Grillen ist erlaubt. „Wir hatten erst befürchtet, das könne zum Beispiel die weinende Frau am Grab ihres Kindes nebenan stören“, erzählte David Roth beim Kongress. Doch schließlich seien die Picknickenden mit der verwaisten Mutter ins Gespräch gekommen, die Frau aß mit ihnen und konnte über ihren Verlust sprechen. „Denn“, so Roth, „man muss Menschen nicht reglementieren, sondern ihnen einfach vertrauen, damit Leben mit der Trauer möglich wird.“

Weitere Beiträge: Kongressteilnehmerin Erika Marten ist als Oberkirchenrätin der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers für mehr als 900 evangelische Friedhöfe zuständig. Im Interview mit trauernetz.de spricht sie über kirchliche Bestattungen und Trauerbegleitungen: „Auf unseren Friedhöfen ist vieles möglich“

Text: Sabine Eisenhauer
Bild: Dr. Dirk Pörschmann (re.), Leiter des Sepulkralmuseums in Kassel, spricht beim Kongress über die Zukunft der Friedhöfe (Foto: Thomas Schlorke)

17. November 2019