Was Männer brauchen

Draußen sein, einfach mal schweigen und lieber keine Briefe an Verstorbene schreiben: Trauerbegleiter Thomas Achenbach erlebt, dass männliche Trauer eigene Wege geht. Im Interview beschreibt er, wie Männer in den bisher eher weiblich dominierten Trauerdiensten ihren Platz finden.

Herr Achenbach, warum wurden Sie Trauerbegleiter?

Thomas Achenbach: Das werde ich ganz oft gefragt, sodass ich mir inzwischen eine ganz einfache Antwort zurechtgelegt habe: Ich wollte einfach sprachfähig werden, was die Themen Tod, Sterben und Trauer angeht. Das resultiert aus zahlreichen zusammengefügten Lebenserfahrungen: eine überfahrene Mitschülerin in der fünften Klasse; eine Vermieterin, die ihre Tochter 2004 beim Tsunami verlor; der Tod meiner Mutter; Freunde, die schon in jungen Jahren von tödlichen Krankheiten bedroht waren – aber vor allem hat mich immer wieder bestürzt, wie fassungslos der Tod die Menschen macht.

Meine Qualifizierung zum Trauerbegleiter habe ich dann als einen unglaublich wertvollen Prozess erlebt. Sie dauerte berufsbegleitend rund eineinhalb Jahre bei vielen intensiven Einheiten nach dem Curriculum des Bundesverbands Trauerbegleitung – und da kommt man wirklich als ein in Teilen anderer Mensch heraus.

Seit wann sind Sie als Trauerbegleiter aktiv, und wie viele Männer und Männergruppen haben Sie seitdem begleitet?

Thomas Achenbach: Zählen kann ich das nicht, aber aktiv als ehrenamtlicher Trauerbegleiter bin ich seit etwa 2015. Im Team habe ich seitdem Trauergruppen mit Witwern, mit verwaisten Vätern, mit trauernden Männern allgemein sowie mit jungen Erwachsenen mitleiten dürfen. Daneben gab es Veranstaltungen mit Angehörigen zu Suizid und einige Einzelbegleitungen, zu denen zu mir eher Männer kommen als Frauen.

Wie erleben Sie die von Männern unterschiedlicher Generationen geäußerten Gefühle der Trauer?

Thomas Achenbach: Definitiv erlebe ich einen Unterschied bei den Äußerungen der Männer verschiedener Generationen. Ich glaube, heutige Männer stehen in einem enormen Spannungsfeld, auch angesichts solcher Fragen, wie denn der „modernde Mann“ bitte sein sollte. Das ist für Männer in einer Krisensituation zusätzlich belastend.

Eine wesentliche Rolle spielt die Frage, welche Vorbilder die Männer erlebt haben und wie nah diese Vorbilder an den Kriegsgenerationen waren. Denn gerade Väter und Großväter, die den Tod im Krieg erlebten, können nur schwer über ihre Trauer sprechen.

Wer diese oft wie versteinert wirkenden Männer erlebt habt, die aus dem Krieg zurückkamen, der hatte kaum gute Vorbilder für den Umgang mit seinem Inneren – diese Männer werden ja gerne als anwesend, aber doch irgendwie abwesend beschrieben.

Was die Gefühle angeht, stelle ich immer wieder fest: Es fällt Männern generell leichter, sich zu öffnen, je weniger Frauen im Raum sind. Das lässt sich tatsächlich so platt sagen. Deswegen vertrete ich die steile These: Männer brauchen Männer. Jüngeren Männern fällt es allerdings oft leichter, direkt auf die emotionale Ebene gucken zu können.

Mal ganz platt gefragt: Ist der Umgang mit eigenen Gefühlen eher rollenspezifisch oder genetisch bedingt?

Thomas Achenbach: Ich weiß nicht, ob wir diese Frage jemals werden ganz aufklären können. Es gibt eine Menge an Erklärungsangeboten, beispielsweise die These, dass das alles noch aus der Höhlenmenschzeit resultiert. So nach dem Motto: Die Männer sind da draußen auf der Jagd, deswegen ständig schweigend, weil das Reden gefährlich sein kann.

Mir ganz persönlich ist das aber zu simpel, so wie mir die meisten Erklärungsansätze letztlich zu simpel sind, auch die aus der Soziologie. Wobei ich zugeben muss: Eine wirklich überzeugende Antwort habe ich auch noch nicht gefunden. Und wenn ich dann selbst mal in eine Krise gerate – mache ich das auch vor allem mit mir alleine aus. Da bin ich nicht anders.

Der Pädagogik wurde eine Zeit lang vorgeworfen, sich zu sehr an den Mädchen zu orientieren, die Bedürfnisse von Jungen zu ignorieren und ihr Verhalten eher negativ zu bewerten. Spiegelt sich das in der Hospiz- und Trauerarbeit wider?

Thomas Achenbach: Spannende Frage, da müsste man mal nochmal genau hinsehen. Ich finde es aber schwierig, das fair zu beurteilen, weil ich zwar Einblick in viele Angebote habe, aber letztlich nicht im Detail sehen kann, was da konkret gemacht wird. Was ich aber immer wieder gefragt werde: Ob ich gute Methoden wüsste für die Arbeit mit trauernden Männern. Und ich antworte dann immer: Leute, lasst die Methoden besser weg. Das ist nichts für Männer!

Wenn wir Männern mit Angeboten wie „Jetzt schreiben wir mal einen Brief“ oder ähnlichem gekommen sind, gab es meistens enttäuschte Gesichter. Sogar ein Abend mit einer Feuerschale hat nicht funktioniert, obwohl ich mir da sicher war, dass das was ganz klassisch Männliches ist. Aber immer, wenn wir einfach nur geredet haben, also unter Männern, dann ging‘s rund.

Wo haben Wut und Aggression in der Trauerbegleitung einen Platz?

Thomas Achenbach: Wut und Aggression können zu allen Trauerprozessen dazugehören und eine mächtige Rolle spielen, ebenso Schuldgefühle. Das ist erstmal nichts generell Geschlechtliches, das ist einfach Trauer. Wobei da immer auch gilt: Trauer ist ein hochindividueller Prozess, da gibt es keine Normen oder immergleichen Verläufe.

Ich glaube dennoch, dass Angebote wie Trauerbegleitungen draußen im Freien, etwa beim Gehen oder beim Wandern oder auch beim gemeinsamen Sport, eher Männer ansprechen. Und weil draußen das Schweigen nicht so dröhnend ist, das wir bei einer Begleitung immer auch mal als Phase erleben.

Wie gewinnt man Männer für die Trauerbegleitung, mit welchen Argumenten könnten sie für eine Mitarbeit überzeugt werden?

Thomas Achenbach: Mit Argumenten am allerwenigsten, fürchte ich. Das geht glaube ich nur über die emotionale Schiene. Und auf der Ebene geht es vor allem um Sicherheit. Männer müssen sich sicher fühlen können, das ist wichtig. Diejenigen Hospizvereine, die erfolgreich Männer anlocken konnten, haben auf Angebote gesetzt, die sich explizit nur an Männer richten: Etwa Stammtische zu den Fragen Trauer, Tod und Sterben oder ähnliches als sanfter Einstieg.

In einem meiner Blogbeiträge zu dieser Frage habe ich neulich die These aufgestellt, dass Männer bei allen Themen rund um Tod und Sterben generell ängstlicher sind als Frauen – und dass sie deswegen einen besonderen Schutzraum brauchen. Das ist zugegebenermaßen eine steile These und reines Bauchgefühl, ohne irgendeinen wissenschaftlichen oder sonstigen Beleg dafür anbringen zu können. Ich glaube aber, da ist was dran.

Überwiegend waren es Frauen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreich für die Enttabuisierung von Tod und Sterben eingesetzt und die Trauerbegleitung vielerorts aufgebaut haben. Dulden Frauen überhaupt Männer, deren Sprache und Verhalten in „ihrem“ Metier?

Thomas Achenbach: Auch das ist eine spannende Frage. Schwer zu sagen. Bislang habe ich mich persönlich nicht nur geduldet, sondern sogar erwünscht gefühlt. Mir kommt es so vor, als würden die Männer im Hospiz- und Trauerbereich ganz langsam mehr, hier und da jedenfalls, und als gäbe es mehr Angebote für sie.

Oder es werden vielleicht nur mehr Männer mit als weiblich eingeordneten Verhaltensweisen akzeptiert?

Thomas Achenbach: Das ist ein Faktor, den man immer im Hinterkopf haben sollte: Bin ich beeinflusst von einer bestimmten Vorstellung davon, wie man über Trauer sprechen sollte – oder wieviel? Kann ich es akzeptieren, dass wir auch gar nicht darüber reden, und dass dies dann dennoch eine gute Begleitung sein kann?

Das hat mich bei meinen ersten Einzelbegleitungen mit Männern selbst irritiert: Wie lange es dauern kann, bis wir mal beim Thema ankommen! Und wie schnell wir dann wieder woanders hin abdriften. Aber dass das trotzdem eine Trauerbegleitung im Wortsinne sein kann – und vor allem vom Gegenüber als eine solche erlebt wird.

Zur Person:

Thomas Achenbach wurde 1975 in München geboren, wuchs in Norddeutschland auf und lebt derzeit in Osnabrück. Der ausgebildete Schriftsetzer, Redakteur und Trauerbegleiter ist beruflich als Blogger, Journalist und Buchautor aktiv, ehramtlich begleitet er trauernde Menschen, leitet Trauergruppen und Trauerseminare. Er ist zudem in seinen Podcasts und bei Vorträgen zu hören.

Als Trauerbegleiter ist Thomas Achenbach Mitglied im Bundesverband Trauerbegleitung (BVT), seine Ausbildung zum Trauerbegleiter umfasst die große Basisqualifizierung gemäß BVT-Standards. Thomas Achenbach ist Autor des Buches „Männer trauern anders“, erschienen 2019 im Patmos-Verlag.

Interview: Sabine Eisenhauer
Foto: Stefanie Hiekmann

06. Dezember 2021