Predigt im Gottesdienst der Trauernden Eltern und Geschwister Rhein Main e.V. am 9.12.2012

Liebe Frauen und Männer,
eigentlich bin ich nicht um Worte verlegen, doch heute ist das anders. Meine Abschiede, meine Trauer, mein Dasein als Pfarrerin und als Notfallseelsorgerin, in Momenten, in denen ich und Andere von unfassbarem Leid heimgesucht wurden, haben mich zunehmend empfindsam werden lassen. Wie leicht können uns gut gemeinte Worte verletzen, wenn wir verwundet wurden durch den Tod eines Kindes.
Lange habe ich daheim an meinem Schreibtisch gesessen und auf eine leere Bildschirmseite meines Laptops geblickt. Irgendwann kam mir dann der Gedanke, dass mein Ausharren vor der Leere im Grunde wiedergibt, was mir in der Begegnung mit Menschen die verwundet wurden und trauern wichtig ist: Es sind nicht in erster Linie die Worte, sondern vielmehr das Mit-Aushalten des Schmerzes, das Mit-Aushalten der Lücke, wie Dietrich Bonhoeffer einmal sagte, was helfen kann, mit dem nicht mehr körperlich unter uns Sein eines für uns bedeutsamen Menschen leben zu kön-nen.
Mir persönlich sind die Worte von Menschen am liebsten, die wissen wovon sie reden, weil sie selber die Erfahrung am eigenen Leib gemacht haben. Über solche Worte bin ich vor einiger Zeit ganz unerwartet in einem wissenschaftlichen Aufsatz eines Mitte der 90er Jahre verstorbenen praktischen Theologen gestoßen, er heißt Henning Luther. Er musste jung Abschied nehmen von seiner Frau, war HIV infiziert und verstarb im Alter von fast 44 Jahren. Ihm ist beim Lesen von Seelsorgeliteratur aufgefallen, dass darin häufig die Rede ist von Sterbenden und Lebenden oder von Trauernden und Nichtrauernden. Doch selten würden diejenigen, die in dieser Literatur zu einem angemessenen Umgang mit Sterbenden und Trauernden angeleitet werden sollen als Auch-Sterbende bezeichnet. Daraus entwickelt sich, so Luther, ein merkwürdig falscher Ton, als hätten sterbende und trauernde Menschen ein Defizit. Und dabei würde verdrängt, dass eigentlich die Lebenden die Erfahrungsärmeren sind, weil sie die Erfahrung des Sterbens und Trauerns selten schon selber gemacht haben. Eigentlich ist es doch so, dass die sterbenden und die trauernden Menschen Andere lehren können, was es heißt mit dem Tod zu leben.
Ich glaube, wenn wir es in unserem Leben schwer haben, dann sind wir auf die Solidarität der Anderen angewiesen. Wir brauchen ihr Mit-gehen und Mit-tragen. Wir brauchen eine solidarische Gemeinschaft.
Als Jesus Angst hatte vor seinem Sterben, unmittelbar in der Nacht vor seinem Tod, da war er mit seinen Jüngern im Garten Gethsemane. In der Bibel heißt es:
Jesus fing an zu trauern und zu zagen und er sprach zu seinen Jüngern:
Meine Seele ist betrübt bis an den Tod; bleibt hier und wacht mit mir!
Die schwersten Wege in unserem Leben müssen wir allein gehen, was uns dabei helfen kann, ist das Gefühl, Andere tragen uns und begleiten uns. Amen.

von Carmen Berger-Zell