Silly

Asyl im Paradies

Silly gehörte zu Wendezeiten zu den bekanntesten DDR-Rockgruppen. Tamara Danz, auch Tina Turner des Ostens genannt, gab Silly eine der markantesten deutschen Rockstimmen. Ihre letzte CD „Paradies“ erlebte sie nicht mehr. Kurz nach den Aufnahmen 1996 starb sie mit 43 Jahren an Lungenkrebs.
In „Paradies“ singt Tamara Danz um ihr Leben. Kaum zu glauben, zu welcher gesanglichen Leistung die schon unter Morphium Stehende noch einen Monat vor ihrem Tod in der Lage war. „Paradies“ ist ein Vermächtnis des Lebens, bei dem die Auseinandersetzung mit dem prallen Leben, mit dem eigenen Tod, mit der Trauer der Angehörigen und mit der Wut über das viel zu frühe Sterbenmüssen in jedem Atemzug zu hören ist. In allen Songs begegnet Protest gegen das Unabwendbare. Tamara Danz willigt nicht ein in ihren Tod und dennoch bleibt der Eindruck, dass hier eine Entwicklung zum Sterbenkönnen stattfindet. In, mit und unter dieser Dimension ist die gesamte CD von spezifisch ostdeutschen Erfahrungen durchzogen, die es auch nach über 10 Jahren noch bzw. wieder lohnt, sich zu Gemüte zu führen.
„Asyl im Paradies“ heißt der 2. Song, der der LP ihren programmatischen Titel gab.

„Meine Uhr ist eingeschlafen,
ich hänge lose in der Zeit.
Ein Sturm hat mich hinausgetrieben
auf das Meer der Ewigkeit.
Gib mir Asyl, hier im Paradies,
hier kann mir keiner was tun.
Gib mir Asyl, hier im Paradies,
nur den Moment, um mich auszuruhn.“

So klingt der berechtigte Wunsch aller, die dem Tod ins Auge sehen müssen: Gib mir Asyl im Paradies, an dem Ort, an dem mir keiner mehr etwas Schlimmes zufügen kann. Diese von theologischen und religiösen Anspielungen strotzende profane Sprache im angeblich religiös so unmusikalischen Osten gibt mir Kraft, die Ungereimtheiten des fremden und des eigenen Sterbenmüssens auszuhalten.
Den Schluss der CD bildet ein „Schlaflied“ für ihre Geliebten. Hier klingen alle Traditionen des deutschen Schlaflieds an. Abschiednehmen wird möglich:

„Lass den Kopf ruhig hängen
Lass den Tränen ihren Lauf
Es wird dir nichts geschehen
Ich passe auf dich auf
Lass die Bomben ticken
Lass die Wölfe heulen
Sie werden dich nicht finden
Hier kannst du wehrlos sein

Schlaf, schlaf – sei brav und schlaf
Du wirst sehn, wie gut das tut.
Schlaf, schlaf mein Prinz – sei brav und schlaf
Über Nacht wird alles gut.

Komm mein müder Krieger
Gib mir deinen Mund
In den kühlen Kissen
Mach ich dich gesund
Morgen bist du wieder
Bärenstark und schön
Dann wirst du mich verlassen
Und deiner Wege gehn
Schlaf, schlaf – sei brav und schlaf…
Einmal werd ich nach dir rufen
In so einer eisgrauen Nacht
Dann komm und tau mir die Seele auf
Und gib mir von deiner Kraft
Schlaf, schlaf – sei brav und schlaf…“

Tamara Danz‘ Requiem lässt das Paradies als Ort gelebter Sehnsucht erklingen: Hier kann ich traurig, wütend, wehrlos und glücklich zugleich sein. „Paradies“ ist sehr nah dran – am Leben wie am Tod.

Harald Schroeter-Wittke