Richard Strauss

Metamorphosen

„Trauer um München“ überschreibt Richard Strauss eine erste Skizze für sein sinfonisches Altersgedicht „Metamorphosen“ im Oktober 1944 nach der Zerstörung des Opernhauses seiner Heimatstadt München. Am 12. April 1945 vollendet der Achtzigjährige in Garmisch die Studie für 23 Solostreicher, nachdem er erfahren hat, dass auch die für sein Leben und sein Werk so wichtigen Opernhäuser in Dresden, Berlin und Wien in Trümmern liegen. In dem langsamen, fast halbstündigen Sinfoniesatz formt er seinen tiefen Schmerz über den Verlust deutscher Städte, unwiederbringlicher Kulturwerte, Baudenkmäler, Theater, Opernhäuser – einer Kultur, als deren letzter Repräsentant er sich versteht. Strauss ist in verzweifelter Stimmung, denn für ihn bedeutet das nahende Kriegsende auch eine persönliche Tragödie: Er sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, dem NS-Staat nicht entschieden genug entgegengetreten zu sein. Als „Widerschein meines ganzen vergangenen Lebens“ bezeichnet er sein elegisches, von Moll-Tonarten dominiertes Orchesterwerk, das Klage und Anklage sowie Mahnung vor Resignation in einem ist.

Vor dem Hintergrund dieser geschichtlichen und persönlichen Situation erschließt das Werk mir neue Räume des Erlebens und Verstehens. Ein aus blühender Vielstimmigkeit hervorquellender Musikstrom voller thematischer Verwandlungen ¬ „Metamorphosen³ – lässt am Anfang einen horizontalen von warmen melodischen polyphonen Elementen getragenen Teppich entstehen, in den bereits horizontale Elemente einfließen, die ein reichhaltiges Spannungsgefüge aus Höhen und Tiefen verweben, die Trauer und Lebensfreude gleichermaßen suggerieren. Aus den langsamen, elegischen Abschnitten spricht leidenschaftlicher Schmerz, Scham und tiefe Tragik. Der raschere Mittelteil drückt die lebendigen Kräfte aus, die sich der Resignation entgegenstellen und sich zu den Schönheiten des Lebens und der Welt bekennen. Nur selten im neueren Musikschaffen ist für mich das „Memento mori“ – das „Gedenke, dass du sterblich bist“ – eindringlicher in Töne gefasst worden als in Richard Strauss‘ „Metamorphosen“.

Sigrid Maier-Knapp-Herbst