Johann Sebastian Bach

Präludium fis-moll BWV 883, aus: Das Wohltemperierte Klavier Bd. 2

Luise Reddemann ist Trauma-Therapeutin und sie liebt Bach. Beides hat für sie miteinander zu tun. Nach unseren Begriffen war Bach ein traumatisierter, zumindest mit Trauer schwer beladener Mensch. Oft musste dieser Vater am Sterbebett eines seiner vielen Kind sitzen. Und als er eines Tages nach einem längeren Reise nach Haus zurückkehrte war seine Frau gestorben und bereits begraben. Man hatte ihn nicht benachrichtigen können. Da liegt es nahe zu vermuten, dass für Bach auch seine eigene Musik ein Überlebenstrost war. Für mich ist sie es jedenfalls. Whatever gets you through the night, it´s all right. Das ist für mich Bach, nicht Beatles.

Wie macht das Bach? Das fis-moll Präludium aus dem 2. Band des Wohltemperierten Klaviers ist ein zartes Stück. Es beginnt mit einer fallenden Quarte, wie ein Abschiedsgruß. Beethoven hat einige Jahrzehnte später eine Klaviersonate geschrieben, die so ähnlich beginnt, aber viel dramatischer endet, und die er „Les Adieu“ nannte. Bachs Abschied ist alltäglicher. Die rechte Hand sagt leise „Servus“ und die linke Hand antwortet im Echo. Der rechten Hand fällt noch etwas ein, was sie unbedingt loswerden muss. Dann wird es Zeit: „Also Adieu“. Aber halt, fast hätte sie vergessen, dass sie die Linke noch an etwas erinnern sollte – und so weiter. Doch dann bricht die Musik ganz ab. Ein Augenblick Generalpause. Dann weist die linke sanft die rechte Hand auf ihre Aufgabe hin, und diese beginnt noch einmal mit ihrem Adieu. Aber jetzt klingt die Musik wie belehrt über ihr Ende, wo sie nicht mehr sein wird und Rechte und Linke einander nicht mehr werden antworten können. Gelassen endet das Präludium im Schlussakkord – und verklingt. Trostlos ist kein Abschied bei Bach, weder in seiner Passionsmusik, noch im fis-moll Präludium. Das liegt nach meinem Eindruck am basso continuo, der Basslinie, die jede Komposition von Bach begleitet. Von diesem Fundament gehalten, das nicht hart und fest ist, sondern schwingend, pulsierend – meist sind es ja auch tänzerische Rhythmen -, spielen die übrigen Stimmen das ganze menschliche Drama, auch die großen und kleinen Abschiede. Und wenn die Musik verklungen ist? Ich glaube dann pulsiert dieser basso continuo weiter. Er kommt von weit her und geht weit hin. Er kommt ins hörbare Schwingen, wenn Bachs fis-moll Präludium erklingt, und schwingt und trägt weiter, hörbar nur für das innere Ohr, wenn die Musik, und wenn wir verklungen sind.

Thomas Erne