Gustav Mahler
9. Sinfonie
Gustav Mahlers 9. Sinfonie, die letzte, die er vor seinem Tod 1911 vollendete, ist ein großer komponierter Abschied vom Leben. Verschiedene Stufen und Elemente eines Trauerweges haben in dieser Musik großen Ausdruck gefunden: den Verlust nicht wahrhaben, so tun, als ob alles einfach weitergehen könnte, Leben wird ausgebreitet und erinnert, doch es ist beschädigt. Schmerz, Wut und Aggressionen brechen auf, und schließlich Ergebung in Vergehen und Auflösung.
Der langsame erste Satz („Andante comodo“) beginnt mit unregelmäßigem Pochen, als schlage das Herz nicht mehr gleichmäßig, baut aber nach und nach noch einmal die ganze Fülle des Lebens auf in unglaublicher Vielstimmigkeit und Farbigkeit, tiefem Wohlklang, rhythmischer Vielfalt, großen Aufgipfelungen und desaströsen Zusammenbrüchen. Der Satz verklingt mit dem leisen Ton einer Flöte.
Der 2. Satz („Etwas täppisch und sehr derb“) beginnt als Ländler, Volksmusik, aber schnell stellt sich heraus, dass der Wurm drin ist. Die Musik entwickelt sich zu einem schrillen, wilden Walzer, immer wieder scharf kontrastiert von der Idylle des Ländlers, doch es stimmt nicht mehr mit der Harmonie. Der Satz endet zwar mit einer Ländlerfigur, doch nur Piccoloflöte und Kontrafagott zusammen, skurril grinst das Knochengesicht.
Der schnelle 3. Satz („Rondo. Burleske“) ist ein Ausbruch an Wut, Zorn und verzweifeltem Zugriff auf das zerfallende Leben. Scharfes Blech steht im Kontrast zu einem leichten, tänzerischen Thema, aber die Burleske tobt sich immer wieder in wuchtigen, chaotischen Stößen aus. Immer neue Versuche, „mit großer Empfindung“ sich in Harmonie und Wohlklang zu verlieren werden schließlich böse ausradiert, und entfesselt jagt alles zu auf den zermalmenden Schluss dieses Satzes.
Nun ist ausgetobt, Zorn und Wut hatten ihren Platz, nun kommt der 4. Satz („Sehr langsam und noch zurückhaltend“), der nach einstimmiger Einleitung choralartig anhebt in Harmonien, die weit ins 20. Jahrhundert weisen. Das Riesenorchester wird kammermusikalisch behandelt, Einzelstimmen treten hervor, teils weit auseinander-liegend, Instrumente klingen in extremen Lagen, Schmerz und Qual werden ausgesungen und gewürdigt. Immer wieder taucht der „Choral“ auf in verschiedenen Variationen, strebt einem Höhepunkt zu, nach dem sich alles auflöst wie Fäden ins Nichts, die Stimmen werden weniger, leiser, langsamer. Die Sinfonie endet „äußerst lang-sam“ im vierfachen Pianissimo, fast unhörbar, und es ist jetzt gut so.
Bernhard Leube