Felix Mendelssohn Bartholdy
Der 100. Psalm: Jauchzet dem Herrn alle Welt
Glücklich ist der Mensch der Grund zum Loben und Danken hat. Aber es gibt auch Zeiten, wo einem nicht zum Singen zumute ist. Da möchte man lieber schweigen. Da kann man, wenn die anderen singen und loben, selber nur klagen und weinen.
Psalm 100 mit dem Beginn „Jauchzet dem Herrn alle Welt“ ist ein altes Lied, das das Volk Israel vor mehreren tausend Jahren als Danklied immer wieder angestimmt hat. Viele bekannte Komponisten haben diesen Psalm in wunderbare Klänge gesetzt, auch Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-47) mit einer 8-stimmigen Mottete. Da meint man an einigen Stellen,
als würden die Menschen im musikalischen Wettstreit mit den Engeln liegen, wenn sich der „hohe“ Chor der Frauenstimmen mit dem „tiefen“ Chor der Männer abwechselt und beide sich gegenseitig zurufen:
Gehet zu seinen Toren ein – Mit Danken!
zu seinen Vorhöfen – Mit Loben!
Bevor sich beide Chorgruppen dann zu einem voluminösen Klang beim „Lobet seinen Namen“ vereinigen, gibt es eine bemerkenswerte Stelle: plötzlich singt nur noch die tiefste Stimme, der Bass. Auf zwei absteigenden Tönen hört man ein leises vorsichtiges „Danket“. Erst dann kommen alle anderen sieben Stimmen mit einem verhaltenen leisen Akkord wieder dazu, um sich zum musikalischen und klanglichen Höhepunkt zu steigern.
Ein ungewöhnlicher Einfall des Komponisten, ein unerwarteter musikalischer Effekt! Will Mendelssohn hier das stille und zaghafte Lob eines betrübten Menschen zeigen? Soll an dieser Stelle ein „Lob aus der Tiefe“ angedeutet werden? Gibt Mendelssohn mit diesen Tönen den Verzagten und Traurigen die Möglichkeit der Artikulation ihrer Situation?
Ich sehe und höre in diesem Takt die Schwachen und Kranken, die Ängstlichen und Geschlagenen, wie sie ihr vorsichtiges Lob anstimmen. Es ist gleichzeitig wunderbar zu erleben, wie der große Klang aller Stimmen die Einzelstimme jetzt wieder in den weiteren Verlauf einbezieht und sich zu einem gemeinsamen kraftvollen Lob und Dank steigert.
Denn der Herr ist freundlich
und seine Gnade währet ewiglich.
Karl-Heinz Saretzki