Charles Ives

The Unanswered question (1906) auf tragendem Untergrund

Warum musste das geschehen? Warum traf es ihn? Warum sie? Warum mich? Es scheint, als kenne Charles Ives (1874-1954) diese ewige existentielle Hiobs-Frage gut. Seine experimentelle Collage ist nicht gerade friedfertig. Auf dem Tableau eines Klangteppichs von Streichern stellt die Trompete die Frage. Immer wieder, siebenmal, es könnte auch siebzigmal siebenmal sein. Die jeweiligen sechs Antworten der Holzbläser sind wirr, dissonant, steigern sich ungeduldig von Mal zu Mal, bleiben jedoch chaotisch, ratlos. Die siebte Frage des Trompeters verweilt unbeantwortet. Gibt es keine Antwort? Verstummt gar die Frage?

Bei aller Dramatik wirkt die Musik eher wie ein Ausschnitt, eine Szene aus einem ewigen Zusammenhang. Es könnte ähnlich weitergehen oder zirkulierend von Neuem beginnen. Immer wieder die bohrende Frage: Warum?

Wir Menschen sind es gewöhnt zu handeln – handeln zu müssen, selbst dort, wo kaum oder gar kein Spielraum dafür vorhanden ist. Der Tod führt mich an die Grenzen, über diesen Spielraum hinaus: Hier hat er mich ereilt, hier kann ich nichts tun, ich bin getroffen, betroffen. Mir ist der Boden weggezogen unter den Füßen. Einzig mein Fragen sucht dem Pathos der Unentrinnbarkeit auszuweichen.

Und doch: Gemächlich, scheinbar unbeeindruckt und vor allem unbeirrt halten die Streicher den Klangteppich darunter. Choralartig setzen sie den Dur-Gang fort, in ganz langsamer Bewegung nach oben und dann wieder zurück. Sie streichen eine dichte Bewegung; halten mich Strauchelnden wie ein göttliches Netz in der Luft, geben den Fragenden und Antwortenden zarten Bodenkontakt. Die Hilflosigkeit wird durch einen tieferen Ur-Grund unterlegt, die den weiten Welt-Raum bewahrt, streckt und orientiert.

Das tut gut beim Hören: Da ist etwas, das trägt und erdet: fast unmerklich gestimmt, tiefer als unser Fragen und Antworten, länger als die Dauer des Musikstückes, weiter als das Leben.

Silke Leonhard