Was wird aus den vielen Tränen? – Eine wachsende Verwandlung (Psalm 126)
Es wird so gut wie alles untersucht, doch danach forschte bislang noch keiner. Ich zumindest habe in keiner Zeitung einen Bericht, in keiner Buchhandlung ein Buch gefunden, die erklären: Was wird aus den Tränen, die vergossen werden? Selbstverständlich weiß ich: Sie verdunsten oder sie versickern. Sie werden weggestrichen und dann trocknen sie. Allerdings stehen die Tränen ja auch für Schmerzen, die nicht so leicht verschwinden. Was passiert mit Angst, Verzweiflung und dem Nicht-weiter-Wissen? Natürlich: Ich kann lernen, mit dem Schmerz zu leben, doch das ist mir zu wenig. Ich würde lieber glauben, was manche Leute sagen: dass der Schmerz zur Freude wird. Diesen Satz würde ich gern träumen – es fällt mir indessen schwer. Denn er klingt bilderlos. Dazu verbreiten Menschen, die sich auf ihn berufen, den Gestus der Sicherheit. So gewiss klingt er, dass die Tränen oft keine Zeit mehr haben, Schmerz zu sein. Sie werden zwangsverpflichtet, sofort loszulachen. Das ist gestellte Freude.
Im Buch der Psalmen finde ich Bilder, die den Schmerz verwandeln, ohne ihn rasch wegzuwischen. Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Sie gehen hin und weinen und streuen ihren Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben. (Ps 126,5.6) Keine Träne wird umsonst vergossen. Sie verschwinden nicht im Nirgendwo, sondern fallen in eine Erde, die sehr fruchtbar ist. Allerdings: Erst kann ich gar nichts sehen, ich ahne höchstens etwas. Dann die ersten Zeichen, zarte Pflänzchen, die sich aus dem Boden regen. Das ist noch lange keine Freude. Immerhin kann ich jetzt sehen, wie sich die Tränen verwandeln. Da keimt etwas, das kräftiger wird und grün. Wie viel Zeit vergeht, kann niemand sagen. Jede Pflanze wächst in einem anderen Rhythmus. Doch niemand soll sagen, sie brächte keine Früchte. Das Schmerzenssalz der Tränen kann Dünger sein. Beim Vergießen schmecken sie bitter, die Erntefrüchte freilich sind ohne Gift und Restbestände. Der Saat folgt eine Ernte – dieser Satz ist eine Hoffnung und nährt sich doch auch aus Erfahrung. Der Lese folgt ein Fest. Nicht alle können feiern. Viele Tränen befinden sich noch im Boden, in den auch immer wieder neue fallen. Die Musik aber beginnt schon, zum Fest aufzuspielen. Die Tische werden nicht eher abgeräumt, bis alle jubeln können.