Trost ohne Worte

Es geschah beim Besuch einer Frau, die um ihren verstorbenen Ehemann trauerte. Ihre Augen waren geschlossen. Sie saß im Sessel. Ihre Hände kreisten unruhig über die Decke, die sie um ihre Beine gelegt hatte. Warum ich es getan habe, weiß ich heute nicht mehr. Ich legte meine rechte Hand auf ihre drauf. Vielleicht wollte ich sie nur begrüßen, vielleicht wollte ich sie auch trösten. Was dann folgte, hat mich überrascht. Sie zog ihre Hand unter der meinen heraus und legte sie auf meine oben drauf. Durch diese unscheinbare Bewegung haben wir die Rollen vertauscht. Ich war nun derjenige, der die Last ihrer Hand zu tragen hatte.  Sie war die Tröstende.  Aber keiner von uns brauchte Trost in dieser Stunde.  Darum drehte ich meine Hand um und formte mit meiner nach oben gerichteten Handfläche eine Kuhle. Hier lag nun ihre rechte Hand, ruhig und leicht. Was diese Frau brauchte, war kein Trost, der von oben kommt. Die Last, die sie zu tragen hatte, war schwer genug. Sie wollte sich in dieser Stunde fallen lassen und dabei gehalten werden. Vielleicht sich sogar geborgen fühlen. Mehr nicht. Um getrost in die Hände Gottes zu fallen.

von Raimar Kremer