Gedenkfeier im Bestattungshaus

Sie sind heute hierher ins Bestattungshaus gekommen,  weil Sie einen Menschen verloren haben und Ihrer Trauer Raum geben wollen.  Ein Ihnen nahe stehender Mensch ist gestorben – jemand aus dem engsten Familienkreis, Verwandte, ein Freund oder eine Freundin. Hier in diesem Haus haben Sie wichtige Phasen des Abschiednehmens erlebt. Neben Ihnen sind andere, denen es ähnlich ergangen ist. Und auch die, die hier arbeiten, haben Sie und Ihre Toten nicht vergessen. Gemeinsam erinnern wir uns, jeder und jede auf eigene Weise.

Nach dem Tod ihrer Mutter schrieb mir die Tochter einige Zeit nach der Trauerfeier:

„Mein Weg ist steinig und ich falle oft oder habe gar noch nicht gelernt zu laufen. Das weiß ich manchmal nicht so recht. Das Kind, welches keines mehr sein darf, ist überfordert mit dem, was von ihm erwartet wird, aber auch mit dem, was es machen muss oder sollte. Trauer braucht ihre Zeit, aber meine Arbeit lässt mir diese Zeit nicht.“

Der eine oder die andere unter uns könnte das ähnlich sagen. Sie haben das vielleicht auch erlebt.

Manchmal ist der Alltag eine Hilfe. Er lenkt ab, die täglichen Herausforderungen und Aufgaben überdecken die schweren, die schwarzen Gedanken.  Und dennoch sind diese da.

Die Frau schilderte mir dann in ihrem Brief ihren Alltag und fuhr fort:

„Das alles kostet Kraft und Zeit. So vieles wird einem erst bewusst, wenn man es nicht mehr hat. Wie dumm war man, wie naiv war man – was hätte man alles früher wissen sollen, ja müssen.“
Können Sie das nachempfinden?

Mich haben diese Worte sehr berührt. Mit dem Bild von dem steinigen Weg hat sie Worte gefunden für etwas, was sich nur sehr schwer beschreiben lässt. Jeder trauert anders. Wer schon einmal von den Phasen des Trauerns gehört hat, wird wissen, dass diese sich überlagern, verschieben, ganz lange dauern oder auffallend kurz sind. Trauern hat wenig Ähnlichkeit mit einem geraden und einzig richtigen Weg, es ist vielschichtig und verschlungen.

Heute halten Sie auf Ihrem Weg einen Augenblick inne, lassen den Alltag zurück und geben den Erinnerungen Raum.

–  Harfe –

Sie werden sich an den Schmerz erinnern, an einzelne Augenblicke tiefer Trauer, an andere, wo Sie gehalten wurden und aufatmen konnten.

Sie werden auf eine bestimmte Wegstrecke zurückschauen. Menschen, die Ihnen dabei begegnet sind, die Sie getröstet haben oder genau so hilflos waren wie Sie. Sie haben Ratschläge gehört oder gelesen. Haben dann aber auch gemerkt: Wegweiser machen einen Leidensweg nicht leichter.

Mit jedem Schritt veränderte sich die Trauerlandschaft: überraschende Ausblicke, plötzlich schien es nicht mehr weiter zu gehen, manchmal nur ein schmaler Trampelpfad, gelegentlich eine breite Straße, keine besonderen Vorkommnisse.

Wenn du dich auf die Reise begibst,
sind Berge nicht länger Berge
und Flüsse nicht länger Flüsse mehr.
Wenn du die Reise zu Ende gemacht hast,
sind Berge wieder Berge
und Flüsse wieder Flüsse.   Sagt ein ZEN – Spruch.

Welchen Weg gehen Sie?

Der Kirchenvater Augustin sagte: Die Lösung findest du im Gehen. Ich bin sicher, dass dies keine Anweisung für Jogger war. Im Gehen lernt der Mensch, seiner Seele zuzuhören. Und wenn es ein steiniger Weg ist!  Und der größte Schritt ist der Schritt aus der Tür. Ist er Ihnen gelungen?

Unterwegs treffen Sie Menschen, denen es ähnlich ergangen ist. Manche tun uns gut, wir tauschen uns mit ihnen aus. Andere machen es uns noch schwerer. Aber dass wir andere wieder in den Blick nehmen können, das ist ein wichtiger Schritt.

Im Englischen kann man das einleuchtend darstellen. Erinnern heißt re-member. Wieder zurück gehen, einer oder eine unter anderen werden.

Ich wünsche Ihnen, dass Ihnen das gelingt und sich der Satz bewahrheitet:
Es gibt keinen Weg, der nicht irgendwann nach Hause führt.   (Aus Afrika)

Zum Schluss eine Geschichte, die für sich spricht:

Schweigend saß der alte Indianer mit seinem Enkel am Lagerfeuer. Die Bäume standen wie dunkle Schatten, das Feuer knackte und die Flammen züngelten in den Himmel.
Nach einer langen Weile sagte der Alte: „Manchmal fühle ich mich, als ob zwei Wölfe in meinem Herzen miteinander kämpfen. Einer der beiden ist traurig, verzweifelt und mutlos. Der andere aber ist liebevoll, zuversichtlich und mutig.“
„Welcher der beiden wird den Kampf um dein Herz gewinnen?“, fragte der Junge.
„Der, den ich füttere“, antwortete der Alte.

von Alexander Kaestner