Predigt zu Lukas 12

Lukas 12
Jesus sagte in einem Gespräch zu seinen Jüngern: „Ihr wisst nicht genau, wann der Herr zurückkommt. Darum müsst ihr jederzeit auf seine Ankunft vorbereitet sein, denn der Menschensohn wird wiederkommen, wenn ihr am wenigsten damit rechnet.»
«Herr, gelten diese Worte nur für uns, oder meinst du alle Menschen damit?» fragte ihn Petrus.
Jesus antwortete mit einem Gleichnis.
Er sagte: «Erwartet man nicht von einem klugen und zuverlässigen Verwalter, dass ihm sein Herr beruhigt die Aufsicht über die ganze Dienerschaft anvertrauen kann und er sie gewissenhaft mit allem Nötigen versorgt?
Wenn sein Herr zurückkommt und findet, dass er seine Arbeit gut getan hat, wird er glücklich und zufrieden sein.
Eins ist sicher: Einem so zuverlässigen und bewährten Mann wird er die Verantwortung für seinen ganzen Besitz übertragen.
Wenn aber ein Verwalter unzuverlässig ist und sich sagt: ‚So bald kommt mein Herr nicht zurück, und anfängt, die Diener und Dienerinnen zu schlagen, üppig zu essen und sich zu betrinken, dann wird sein Herr zurückkehren an einem Tage, an dem er es nicht erwartet und zu einer Stunde, die er nicht kennt.
Er wird den unzuverlässigen Verwalter bestrafen und ihm den Lohn geben, den die Gottlosen verdienen. Der Diener, der den Willen seines Herrn kennt, sich aber bewusst nicht danach richtet, wird schwer bestraft werden.
Ein Diener, der den Willen seines Herrn dagegen nicht kennt und etwas tut, wofür er Strafe verdient hätte, wird mit einer leichteren Strafe davonkommen.
Wem viel gegeben worden ist, von dem wird auch viel verlangt; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man um so mehr fordern.»

Ein seltsamer Predigttext ist das, liebe Gemeinde, der uns diesen Sonntag beschäftigt.
Landauf – landab wird heute den Verstorbenen in den Gemeinden gedacht – da rechnen wir doch eher mit einem sanften und tröstlichen Text in der Predigt.
Und dieser hier der ist nicht tröstlich und sanft, im Gegenteil: er klingt schon herausfordernd beim Hören. „Wem viel gegeben worden ist, von dem wird auch viel verlangt; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man um so mehr fordern.“ so mahnt Jesus sehr eindrücklich.

Und um das Gericht geht es. Wer sich recht verhält, so wie sein Herr es will, der kommt gut davon, wer sich anders beträgt, der wird bestraft – der bekommt Schläge schreibt Luther.

Der Gerichtsgedanke am Ende des Lebens begegnet uns schon einige Wochen in unseren Predigttexten – Und damit auch die Frage nach unserer eigenen Vorstellung davon, was am Ende des Lebens eigentlich geschieht.
Es geht um unseren Glauben.
Es geht um unser Gottesbild.

Das Bild von Gott als Vater ist weit verbreitet.
Der Vater, der liebt und bestraft, der sich kümmert und beschützt.

Aber auch das Bild des Richters ist ein ganz wichtiges. In der Bibel und bei uns. „Von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten“ – so sprechen wir es jeden Sonntag.

Richter – Gericht – Endgericht – Endzeit, das große Buch, in dem alles steht, was wir je getan, oder aber auch unterlassen haben.
Das alles sind Vorstellungen und Formulierungen der Bibel, Worte zum Teil aus Jesusreden, die wir nicht einfach übersehen und überlesen können.

Aber wir haben ein Problem damit.

Den Jüngern, die vor etwa 2000 Jahren mit Jesus wanderten und lebten, denen erzählte Jesus von Gott, von Gottes Reich, vom Leben nach dem Sterben und auch vom Endgericht.

Er erzählte ihnen, dass sie sich zu verantworten hätten nach ihrem Leben – vor Gott, dem Richter.
Und er sagte ihnen, dass er selbst wieder kommen würde nach seiner Himmelfahrt.

Die Jünger, die warteten nun nach Jesu Kreuzigung, Auferstehung und Himmelfahrt auf seine Wiederkunft.
Täglich erwarteten sie sie.
Die Jünger Jesu – und auch die Nachkommenden – waren sich sicher, in der Endzeit zu leben, und wenn Jesus wieder käme, dann wäre damit verbunden das große Weltgericht.

Nun sind aber für uns in der Zwischenzeit viele Jahrhunderte vergangen.
Viele Jahrhunderte, in denen sich die Welt weitergedreht hat. Wir wissen, dass die Wiederkunft Christi auf sich warten ließ – und noch auf sich warten lässt.

Liebe Gemeinde – Erwarten Sie die Wiederkunft Christi täglich und sind darauf vorbereitet?
Oder sind wir nicht doch alle viel mehr wie der Verwalter, der zu sich selbst spricht: ‚So bald kommt mein Herr nicht zurück‘?

Wie dem auch sei – zwischen den Reden Jesu und uns liegen auch knapp 2000 Jahre Kirchen- und Theologiegeschichte.
Und die haben vieles geglättet.
Unter anderem die Sache mit Gottes Gericht.
Glaubt ein moderner Mensch noch an so etwas? Eher nicht. Weil der Gerichtsgedanke selbst nicht mehr modern ist.
Der Begriff von der „Liebe Gottes“ wurde zum „lieben Gott“ und damit war Gott als Richter erst recht nicht mehr modern.
Aber werden wir damit der biblischen Botschaft gerecht?

Dass wir heute nicht mehr an eine Hölle glauben wie im Mittelalter, mit einem gehörnten Teufel, Kettengerassel und Feuersbrunst – das ist ja in Ordnung – wie gesagt, die Welt hat sich weitergedreht.

Aber dass wir aufgrund einer modern geglaubten evangelischen Freiheit davon ausgehen, dass wir einfach so in den Himmel hineinspazieren können, ohne Verantwortung tragen zu müssen für uns und unser Leben?

Ohne, dass wir Rechenschaft darüber abgeben müssten, wer wir sind und wie wir gelebt haben?

Das geht an der biblischen Botschaft vorbei.

Jetzt mögen Sie einwenden, dass Sie durch Martin Luther ganz anderes wissen, dass wir nämlich durch unseren Glauben schon gerechtfertigt sind.

Und ich gebe Ihnen allen Recht.
Diese großartige Erkenntnis würde ich auch nie anzweifeln wollen.

Aber vor Gott gerecht zu sein durch unseren Glauben und trotzdem sich verantworten müssen für all das, was schief gelaufen ist in Gedanken, Worten und Werken, das steht sich nicht entgegen.

Sonst könnten wir uns ja folgende Situation vorstellen: Ein katholischer und ein evangelischer Christ kommen nach dem Tode zu Gott. Gott sagt: „Ah? Sie sind Katholik? – Da müssen wir mal sehen, ob nach Ihrer Befragung und unseren Aufzeichnungen die Himmel- oder die Höllenseite überwiegt.“ und der Katholik geht auf die Wartebank.
Zu dem evangelischen Christen sagt Gott: „Ah? Ein Protestant? Naja, seit Luther haben Sie gewonnen, Ihnen steht der Weg in den Himmel unbenommen frei, herzlich Willkommen und viel Spaß.“
So kann es nicht sein – dagegen spricht schon unsere eine christliche Taufe!

Es bleibt dabei, liebe Gemeinde: Vor Gott gerecht zu sein durch unseren Glauben und trotzdem sich verantworten müssen für all das, was schief gelaufen ist in Gedanken, Worten und Werken, das steht sich nicht entgegen.

Die Vorstellung, dass wir eines Tages vor Gott stehen, ihm Rede und Antwort stehen müssen über das, was wir getan oder unterlassen haben, ist nämlich ganz wertvoll.

Und wenn Sie ganz ehrlich sind zu sich selbst, dann wissen Sie auch, dass Sie an diese Gerichtsvorstellung glauben.
Warum sonst hätten wir auch bei uns in der Kirche noch eine Beichte,
warum sonst kämen wir auf den Gedanken, Gott um Vergebung zu bitten in unseren Gebeten, warum sonst sprechen wir von Sünde und Umkehr?
Das alles müsste doch nicht sein, wenn wir uns unserer Sache so sicher wären, dass wir bedingungslos mit einem freundlichen Willkommen am Ende da stehen würden.

Und – was ebenso wichtig ist: Der Glaube daran, irgendwann gerade stehen zu müssen, gerade der macht uns zu verantwortlich handelnden Menschen.

Können Sie sich noch daran erinnern, als Kind einmal etwas Verbotenes tun zu wollen?
Und können Sie sich noch erinnern an die Angst, die aufkam – allein bei dem Gedanken dass man erwischt und vom Vater zur Rede gestellt wird?

Das schlägt sich in der Vorstellung von Gott als Vater wieder nieder.

Und bei unserer Vorstellung eines Endgerichtes ist auch so vieles dabei, was wir nicht wissen – wie werden wir dann sein, wie wird Gott sein, wann und wo und wie wird es sein, dass wir Verantwortung ablegen müssen?
Wir wissen es alle nicht.
Wir haben biblische Erzählungen und eigene Vorstellungen – innerhalb unserer menschlichen Gedankengrenzen.

Aber wovon wir uns lösen dürfen – da bin ich fest von überzeugt – das ist die Vorstellung, dass Gott mit menschlichem Maß auf uns zu geht.

Es ist eine der Grundfesten meines persönlichen Glaubens, dass Gottes Gericht und meine Verantwortung vor Gott nichts mit unserer irdischen Justiz gemein hat. Absolut nichts.

Weil Gott anders ist. Ganz anders.

In meiner Vorstellung dient das Gericht dazu, dass wir selbst klarer werden, unsere Ebenbildlichkeit Gottes zum Tragen kommt, wenn wir uns erkennen, wie Gott uns erkennt.

Und das Schöne ist – und das macht ja unseren Glauben auch aus – das Schöne ist, dass Gottes Segen und Gottes Heiliger Geist uns immer wieder dazu hilft, unser eigenes Verhalten schon im Hier und Jetzt zu überprüfen, zu ändern, zuversichtlich Gott entgegenzusehen.

Wir sind ja nicht hier allein
und irgendwo – ganz weit weg – wartet Gott als Vater oder Richter, bis wir vor ihn treten.

Sondern er begleitet uns ja auf unserem Weg – und vielleicht gehört unser Lebensweg ja schon dazu zum Gericht.
Die Vergebungsbitten und Vergebungszusagen.
Die Ehrlichkeit mit uns selbst.
Das Gebet.
Unser Gewissen.
Veränderungen, die wir vornehmen um so zu werden oder zu sein, wie Gott uns haben möchte.
Er begleitet uns auf unserem Weg.

Vielleicht begleitet er uns so, liebe Gemeinde, wie in der kleinen Geschichte (von Lene Mayer-Skumaz), die ich Ihnen zum Abschluss erzählen möchte:
Ein Mann erfuhr, dass Gott zu ihm kommen wollte.
„Zu mir?“ schrie er. „In mein Haus??“
Er rannte durch alle Zimmer, er lief die Treppen hinauf und hinab, er kletterte zum Dachboden hinauf, er stieg in den Keller hinunter. Und er sah sein Haus auf einmal mit anderen Augen.

„Unmöglich!“ schrie er. „In diesem Saustall kann man keinen Besuch empfangen. Alles ist total verdreckt. Alles voller Gerümpel. Kein Platz zum Ausruhen. Keine Luft zum Atmen.“

Er riss Fenster und Türen auf.
„Brüder!“ rief er, „Freunde!“ –  „Helft mir aufräumen – irgendeiner! Aber schnell!“

Der Mann begann, sein Haus zu kehren.
Durch dicke Staubwolken sah er, dass ihm einer zu Hilfe gekommen war.
Gemeinsam schleppten sie das Gerümpel vors Haus, schlugen es klein und verbrannten es. Sie schrubbten Treppen und Böden.
Viele Eimer Wasser brauchten zum putzen und noch mehr, um die Fenster sauber zu bekommen.
Und immer noch klebte der Dreck an allen Ecken und Enden.

„Das schaffen wir nie!“ schnaufte der Mann.
„Das schaffen wir!“ sagte der andere.

Sie plagten sich den ganzen Tag und als es Abend geworden war, gingen sie in die Küche und deckten den Tisch.
„So“, sagte der Mann, jetzt kann er kommen, mein Besuch! Jetzt kann Gott kommen. Wo bleibt er nur?“
„Aber ich bin ja da!“ sagte der andere und setzte sich an den Tisch.
„Komm und iss mit mir!“

Amen