Zusammen Abschied nehmen
In der Regenbogengruppe der Caritas trauern Kinder um verstorbene Verwandte
Alle Kinder sitzen auf dem Boden im Kreis und rufen Jiyana zu, was sie besonders gut können. In der ausgelassenen Stimmung spürt man kaum, dass die Jungen und Mädchen oft auch sehr traurig sind. Sie alle haben eines gemeinsam: Ein naher Verwandter ist kürzlich gestorben. In der Gruppe sollen sie zusammen ihre Trauer bewältigen. „Die Kinder erfahren, dass es anderen ähnlich geht. Das hilft ihnen, mit ihrer Trauer und dem Abschied umzugehen“, sagt Lydia Willemsen, Sozialarbeiterin und Trauerbegleiterin bei der Caritas in Paderborn.
Regenbogenkinder nennt sich die Trauergruppe für Kinder: Vier Jungen und drei Mädchen im Alter zwischen sieben und zehn Jahren treffen sich alle 14 Tage in der Paderborner Beratungsstelle der Caritas: Während es Trauerbegleitung für Erwachsene schon länger gibt, ist die Therapie für Kinder noch relativ neu. Bei der Caritas in Paderborn wird die Gruppe erst zum zweiten Mal angeboten.
Die Kinder erzählen Geschichten, malen, tanzen, spielen ? und nehmen gemeinsam Abschied, zum Beispiel in einem Ritual. „Die Kinder schreiben eine Liste. Darauf stehen die Dinge, die sie mit dem oder der Verstorbenen nicht mehr machen können“, erläutert die Sozialarbeiterin Marlene Schwander, die zusammen mit Lydia Willemsen die Gruppe leitet.
Die Liste wird verbrannt, die Asche mit Erde vermischt und mit einer Efeupflanze eingetopft – es wächst eine neue Pflanze als Zeichen der Hoffnung und des Trostes.“Die Kinder verabschieden sich von einem lieben Menschen. Aber sie wissen, dass die Erinnerungen bleiben“, sagt Sozialarbeiterin Schwander. Deshalb basteln sie an einem anderen Gruppenabend auch eine Erinnerungskiste. Darin wird alles verpackt und gut aufbewahrt, was an den oder die Verstorbenen erinnert: Bilder, Fotos, kleine Gegenstände.
Der Tod von Vater, Bruder oder Schwester hat die Kinder sehr belastet. Jiyanas kleine Schwester ist vor genau einem Jahr gestorben. An den Anruf mit der Todesnachricht erinnert sie sich noch genau: „Alle haben plötzlich geweint – und ich habe große Angst bekommen, bin auf mein Zimmer gerannt und habe wild herumgetrampelt“, erzählt sie.
Die dreijährige Schwester war an Herzmuskelentzündung gestorben. Seitdem konnte Jiyana kaum noch schlafen. Ihre Noten in der Schule wurden immer schlechter: „Früher hatte ich immer Einser und Zweier, jetzt bekomme ich oft eine Vier oder eine Fünf“, erzählt sie. Das Mädchen konnte sich in der Schule nur schwer konzentrieren, „weil ich immer an meine Schwester denken musste“. Durch das Treffen mit der Gruppe geht es ihr jetzt besser. „Hier gefällt es mir gut, weil wir schöne Spiele machen“, sagt sie. Sie schläft besser und kann sich wieder mehr konzentrieren.
„Kinder trauern anders als Erwachsene“, erläutert Marlene Schwander. Nach dem Tod eines lieben Menschen bekommen sie mitunter Angst, dass jetzt noch andere nahe Verwandte sterben. Oder sie wissen nicht, wie sich verhalten sollen, wenn die Mutter nach dem Tod des Vaters oft bitter weint ? und darüber nicht mit ihrem Kind reden kann. „Die Zeit heilt keine Wunden“, ergänzt Lydia Willemsen. Trauer brauche einen Ausdruck, man müsse den Schmerz auch zulassen.
In der Regenbogengruppe in Paderborn gibt es bei jedem Treffen feste Rituale: Mit einem Pinsel begrüßt ein Kind die anderen Kinder und die zwei Sozialarbeiterinnen. Es streichelt damit über Hand, Hals oder Ohren. Wer das „Redepüppchen“ in der Hand hält, darf etwas erzählen. Das Kuscheltier „Tränchen“ kann jedes Kind einmal mit nach Hause nehmen. Es gibt Zeiten zum Fröhlichsein, ruhige Minuten mit leiser Musik und Zeiten zum Springen und Tanzen in der Turnhalle ? das Motto lautet: „Alle Gefühle sind okay.“
Die Zeit in der Gruppe gefällt auch Simon sehr. „Weil hier schöne Mädchen sind“, sagt der Siebenjährige lachend. Er erzählt gerne Geschichte, singt das Lied von Tim Taler und spielt auf der Mundharmonika. Simon hat seinen Vater durch einen Arbeitsunfall verloren. Auch bei Sophia neun Jahre alt, ist der Vater bei einem Autounfall gestorben. In der Gruppe haben beide erfahren, dass sie ein gemeinsames Schicksal teilen ? und sie sind Freunde geworden.
Der Text ist erschienen in: epd Sozial Nr. 24 vom 12. Juni 2009
Nähere Informationen zur Gruppe:
Erziehungsberatungsstelle der Caritas
Geroldstraße 50
33098 Paderborn
Lydia Willemsen (05251/1221-33)
Marlene Schwander (05251/26317)
Email: willemsen@caritas-pb.de
Martin Ruffert/ epd
22. Juli 2009