Trauern in Zeiten von Corona

„Gerade ist fast nichts mehr normal“, sagt die zertifizierte Trauerbegleiterin Tabitha Oehler vom Evangelischen Dekanat Darmstadt-Land. Sie beschreibt, was trauernden Menschen bei ihrem Leben mit dem Verlust in Zeiten der Pandemie und des Kontaktverbots helfen kann.

„Wenn ein Mensch gestorben ist, mit dem man eng verbunden ist, fällt man aus seiner gewohnten Welt heraus“, sagt Trauerbegleiterin Tabitha Oehler. Menschen, die solch einen Verlust erleben, fänden sich in einem Chaos der Gefühle wieder, ergänzt die Gemeindepädagogin von der Trauerseelsorge im Evangelischen Dekanat Darmstadt-Land. „Sie haben vielleicht das Bedürfnis, darüber zu sprechen, dabei den eigenen Schmerz und die Verunsicherung loszuwerden, im Familienkreis zusammenzurücken, sich gegenseitig in den Arm zu nehmen und zu unterstützen“, weiß Tabitha Oehler aus ihrer langjährigen Erfahrung in der Trauerseelsorge.

Anregungen für das Leben mit dem Verlust

Doch derzeit hole uns das Corona-Virus aus der gewohnten Welt, die Pandemie verunsichere die Menschen und unterbinde mit den Schutzmaßnahmen gegen die weitere Ausbreitung der Erkrankungen an Covid-19 die gewohnten und persönlichen Kontakte. Das alles könne die eigene Trauer erschweren. Die Trauerbegleiterin gibt daher einige Anregungen weiter, die helfen können, in dieser Zeit einen eigenen Weg für das Weiterleben mit dem Verlust zu finden:

  • Kontakt zulassen

Sie können im Moment nicht besucht werden oder sind selbst in Ihrer Bewegungsfreiheit sehr eingeschränkt. Die von außen verordnete Kontaktsperre muss nicht heißen, dass Sie nun selbst jeden Kontakt verweigern. Vielleicht hilft es Ihnen, wenn Sie sich zurückziehen, aber vielleicht kann es auch helfen, wenn Sie doch den einen oder anderen Kontakt zulassen.

Nehmen Sie den Telefonhörer ab, öffnen Sie Ihre Mails oder Messenger-Nachrichten. Lesen Sie Beileidskarten und lassen Sie dabei zu, dass Sie Anteilnahme und Unterstützung erfahren.

Die eigenen Bedürfnisse erfragen
  • Die Frage: „Was will ich?“

Seien Sie ehrlich bei dem, was Sie brauchen und was Sie wiederum nicht benötigen. Trauen Sie sich, klar zu sagen, ob und wie Sie Kontakt haben wollen und wann nicht, ob Sie telefonieren können, ob Sie lieber angerufen werden wollen oder selbst anrufen möchten. Sagen Sie, was für Sie hilfreich ist und was eben nicht. Vielleicht wissen Sie es gerade selbst nicht, dann bereiten Sie Ihre Gesprächspartnerin oder Ihren Gesprächspartner darauf vor, dass Sie an einem Tag den Anruf wünschen und am anderen den Hörer nicht abheben können.

  • Sich selbst zuhören

Hören Sie sich selbst zu: Was brauchen Sie im Moment für sich? Was ist hilfreich für Sie? Was aber wiederum auch nicht? Hören Sie auf Ihre Trauer. Sie will nicht bekämpft, nicht möglichst schnell überwunden werden. Ihre Trauer gehört zu Ihnen, ist Ihre eigene und die richtige für Sie. Hören Sie darauf, was sie Ihnen sagt. Sie ist nicht das Problem. Das Problem ist der große Verlust den Sie erleiden müssen.

Ihre Trauer will Ihnen helfen, mit dem Verlust leben zu lernen, auch wenn Sie sich im Moment überhaupt nicht vorstellen können, dass Sie jemals damit leben können. Jetzt überleben Sie erst einmal „nur“.

Geduld mit sich und anderen aufbringen
  • Geduld haben

Haben Sie Geduld mit sich und anderen. Sie und auch die Menschen um Sie herum sind verunsichert. Sie alle sind dabei zu lernen, mit dieser Situation umzugehen. Mit sich selbst Geduld zu haben ist sicher eine der schwersten Übungen, besonders dann, wenn man in einer Situation steckt, aus der man eigentlich so schnell wie möglich heraus will. Aber die Trauer braucht ihre Zeit.

Niemand kann Ihnen Ihre Trauer nehmen, aber vielleicht kann jemand Ihnen kleine Pausen anbieten, kleine Überlebenshilfen reichen. Geben Sie sich und Ihrer Trauer die Zeit, die Sie brauchen. Setzen Sie sich dabei nicht unter Druck. Wenn Tränen kommen, erlauben Sie ihnen zu fließen, wenn sie nicht kommen wollen, dann müssen sie nicht sein oder kommen erst dann, wenn es für Sie dran ist.

  • Ratschläge: erst prüfen

In Zeiten, in denen man verunsichert ist, möchte man, dass man Rat bekommt. Und doch merken Sie, dass viele Ratschläge nicht greifen, an Ihnen vorbeigehen. Nehmen Sie den einen oder anderen Rat erstmal zur Kenntnis, wenn Sie wollen, und prüfen Sie dann, ob er für Sie passen könnte. Ein Rat ist keine Handlungsanweisung, sondern kann eine Möglichkeit sein, etwas auszuprobieren, das hilfreich sein könnte. Hilft diese Möglichkeit, entwickeln Sie diese weiter. Hilft sie nicht, lassen Sie es.

Es gibt auch ungebetene Ratschläge. Lassen Sie diese als Versuch stehen, Ihnen helfen zu wollen und weisen Sie diese dann als für Sie unbrauchbar zurück. Sie dürfen in der Trauer viel ausprobieren – Sie müssen es aber nicht.

Innehalten und den Tag bewusst strukturieren, auch das kann trauernden Menschen helfen
  • Struktur schaffen

Es kann hilfreich sein, sich Strukturen zu schaffen, um nicht ins Bodenlose zu fallen. Der Tod hat Ihnen schon viel an Kontrolle genommen. Die jetzige Situation verändert im Moment ein Stück Ihrer Selbstbestimmung. Da kann es hilfreich sein, wenn Sie sich einen Teil Ihrer Kontrolle neu erobern, indem Sie Ihren Tag ganz bewusst strukturieren, die eine oder andere Routine beibehalten oder neue schaffen.

Es wird vielleicht nicht immer gelingen, aber probieren Sie aus, wie es sich anfühlt, wenn Sie einen Tag strukturiert verbracht haben.

  • Initiative ergreifen

Es ist schwer, in Zeiten der Trauer selbst Initiativen zu ergreifen. Und doch, trauen Sie es sich zu, dass es möglich ist. Recherchieren Sie im Netz nach Hilfen, tauschen Sie sich online mit anderen aus. Trauen Sie sich auch, eine Beratungsstelle anzurufen. Neben Freundinnen und Freunden sowie den Menschen aus Ihrer Familie, sind Beratungsstellen in Zeiten von Corona weiterhin ansprechbar – darunter etwa die Telefonseelsorge.

Lassen Sie sich zu einem Spaziergang verführen, auch wenn Ihnen die Sonne gerade unpassend erscheint in Ihrer eigenen Trauer. Bewegen Sie sich, so weit es Ihnen möglich ist. Bewegung und die Begegnung mit der Natur können die Gedanken für einen Augenblick stoppen.

Die Natur zu erleben, kann Trauernde ebenfalls stärken
  • Verbundenheit spüren

Lassen Sie es zu, wenn Menschen Ihnen Ihre Verbundenheit zeigen wollen. Sicher, Sie sind untröstlich in Ihrer Trauer, und doch darf es sein, dass jemand Ihnen Mut machen kann, Ihnen zeigt, dass Sie ihm oder ihr wichtig sind – auch wenn Sie sich im Moment selbst nicht wichtig nehmen können. Vielleicht ist der oder die Verstorbene gerade das Einzige für Sie wichtige, dann spüren Sie die Verbundenheit zu ihm oder zu ihr. Das ist in der akuten Trauer fast immer mit dem Schmerz verbunden.

Sie werden selten die Nähe zu Ihren Verstorbenen fühlen ohne gleichzeitig den Schmerz zu empfinden. Das will sich mit der Zeit ändern. Der Schmerz will irgendwann gehen, aber die Verstorbenen bleiben. Bis es so weit ist, bleibt Ihnen die schmerzhafte Verbindung zu den Toten, und das ist in Ordnung.

Treffen mit anderen unterbindet das Kontaktverbot, helfen können Mails und Telefonate

Daneben aber dürfen Sie auch Verbindungen zu lebenden Menschen haben, spüren, dass es da noch offene Ohren gibt, die sich Ihnen anbieten, dass kurze Nachrichten dazu da sein können, etwas leichter durch den Tag zu kommen.

Vielleicht hilft die gerade in diesen Corona-Zeiten überall beschworene Solidarität auch Ihnen, mit all den Menschen um Sie herum eine eigene Verbundenheit zu spüren. Dies kann Ihnen helfen, Ihre vom Tod aufgezwungene und die durch das Virus verstärkte Isolation besser zu ertragen.

  • Für sich selbst da sein

Wenn Sie in Kontakt zu anderen Menschen stehen, sorgen Sie für sich selbst. Ihre Trauer braucht sehr viel Kraft. Nehmen Sie das an, was Sie bekommen können und grenzen Sie sich ab, wenn es Ihnen zuviel wird. Behalten Sie sich den eigenen Freiraum – auch und gerade in Zeiten der Einengung!

Fotos: Tabitha Oehler, Bild 1 bis 4: Skulpturen auf dem „Lebensweg“ des Karlsruher Hauptfriedhofs

21. April 2020