Töne des Lebens
Eine Pop-Ballade, die die komplizierte Liebesgeschichte des Verstorbenen erzählt. Eine Big Band, die den vergnügten Charakter des Toten mit Saxophon-Soli Revue passieren lässt. Oder, für den ganz großen Abgang, ein siebenteiliges Requiem, eingespielt von einem Orchester, das emotionale Höhen und Tiefen präzise in Noten übersetzt. Der Musiker Alexander Paprotny bietet an, individuelle Musikstücke zum Gedenken an Verstorbene zu komponieren.
Wer seiner eigenen Beerdigung eine besondere Note verleihen oder seinen Angehörigen ein außergewöhnliches Erinnerungsstück hinterlassen möchte, kann den 30-Jährigen beauftragen, in seinem Tonstudio in Buxtehude ein Abschiedslied zu arrangieren. In der Literatur gebe es geschriebene Biografien, sagt Paprotny: „Ich erzähle Lebensgeschichten musikalisch.“ Zusammen mit seiner Frau hat er 2015 das Start-up „Your Requiem“ gegründet.
Einen Auftrag hatte der Musiker, der auch Kompositionen für Hamburger Independent-Filme schreibt, bisher noch nicht. Zwar seien viele Anfragen bei ihm eingetroffen, eine Bestellung war aber nicht darunter. „Es ist natürlich ein sehr hochpreisiges Produkt“, gibt Paprotny zu. Je nach Aufwand lägen die Kosten im oberen vierstelligen Bereich. Und ein weiteres Hemmnis sieht er: „Der Mensch wird nicht gerne mit der eigenen Endlichkeit konfrontiert.“
Der Musiker ist dennoch von seiner Idee überzeugt: „Es ist eine Gelegenheit, sein Leben zu reflektieren“, sagt er. Dabei sollten vor allem Gefühle im Vordergrund stehen – und Fragen: Wie habe ich gelebt? Was bleibt nach dem Tod von mir?
Musik war schon immer ein wichtiges Element bei Begräbnissen, wie Reiner Sörries erklärt, der ehemalige Leiter des Sepulkralmuseums in Kassel: „Trauer war nie stumm.“ Schon die Klageweiber im Alten Ägypten begleiteten die Festumzüge bei Trauerfeiern mit lautem Zetern, Gesang und Tanz, sagt der Theologe.
Später verdienten Komponisten wie Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) mit Auftragsarbeiten zum Totengedenken Geld. Eines seiner berühmtesten Werke, das Requiem in d-Moll, bleibt unvergessen: 55 Minuten mit vierstimmigem Chor, dramatischem Sologesang, Streichern, Bläsern, Pauken und einer Orgel.
Zu den bekanntesten Abschiedsliedern auf heutigen Beerdigungen zähle Elton Johns „Candle In The Wind“, sagt Sörries. Dessen Auftritt bei der Beerdigung von Lady Di 1997 habe dazu geführt, dass zunehmend Unterhaltungsmusik auf Beerdigungen Einzug hielt. Noch 2015 rangierte der Song nach einer Umfrage des Informationsportals www.bestattungen.de in der Hitliste der meistgespielten Songs auf Trauerfeiern unter den Top 3.
Die Idee, sich eine eigene Hymne schreiben zu lassen, sieht Sörries jedoch skeptisch. Immer wieder fänden Unternehmen Nischen, um am riesigen Markt der Bestattungsbranche teilzuhaben und mit dem Leid der Hinterbliebenen Geld zu machen, kritisiert er. Totenmasken und Schmuckstücke mit den Fingerabdrücken des Verstorbenen seien nur zwei Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit. Und jetzt Abschiedslieder?
Paprotny ist Kritik an seiner Idee gewohnt. Manche würfen ihm vor, aus dem Tod eines Menschen künstlerisch und finanziell ein Geschäft zu machen, sagt der studierte Medienkomponist. Er selbst findet das Angebot überhaupt nicht morbide – schließlich richte es sich an lebende Personen, die noch ein paar Jahre vor sich hätten, und nicht an trauernde Angehörige. „Es ist nicht realistisch, in dem kurzen Zeitraum von Tod und Beerdigung ein Stück zu produzieren.“
Oliver Wirthmann vom Bund Deutscher Bestatter in Düsseldorf hält die Idee, sich einen persönlichen Abschiedssong schreiben zu lassen, zwar für extravagant. Individuelle Trauermusik biete aber die Möglichkeit, die „Töne des Lebens“ in die eigene Abschiedsfeier einzubringen, sagt der Theologe. Dabei müsse man allerdings beachten, dass manche Titel unpassend wirken könnten oder womöglich nicht von allen Gästen verstanden würden.
Auch der Musikpsychologe Christoph Louven von der Universität Osnabrück warnt: „Die Trauerfeier ist für die Hinterbliebenen da.“ In einer wissenschaftlichen Studie zur musikalischen Gestaltung von Trauerfeiern hat er zusammen mit Christian Lange 2012 herausgefunden: Auch ohne individuell produzierte Abschiedsstücke ist die Musikauswahl bei Bestattungen schon jetzt hochgradig individuell. Von den 112 Musikstücken in den 44 untersuchten Trauerfeiern sei ein Großteil nur maximal zwei Mal gespielt worden.
Für sein eigenes Requiem hat Paprotny schon allerlei Ideen. Bis er es komponiere, müssten aber noch mindestens 20 Jahre verstreichen, sagt der 30-Jährige. Zu früh im Leben dürfe man das Werk nicht schreiben. „Nicht, dass ich das Stück nach ein paar Jahren updaten muss.“
Text: epd/Katharina Hamel; Foto: mario_vender – fotolia
27. Januar 2017