So nimm denn meine Hände

Julie Hausmann / Friedrich Silcher

Das Lied ist ein Gebet aus der Not. Alles Selbstvertrauen ist dahin. Noch größer als die Not ist das Vertrauen auf Gottes Führung. Zwar spürt der betende Mensch davon gerade nichts. Trotzdem vertraut er sich ihm an, ganz und gar.

Kaum ein anderes Lied wurde in den letzten anderthalb Jahrhunderten so häufig bei evangelischen Bestattungsgottesdiensten gesungen. Das liegt auch an der Melodie. Sie ist volkstümlich schlicht und ergreifend. Friedrich Silcher hatte sie 1842 für ein gereimtes Abendgebet geschrieben. Vielleicht hat Julie Hausmann „So nimm denn meine Hände“ bewusst auf diese Melodie getextet. Mit ihr wurde das Lied 1862 veröffentlicht. Mit ihr kam es in die Gesangbücher, zunächst anhangsweise als sog. „Geistliches Volkslied“, später in die landeskirchlichen Regionalteile, endlich 1993 in den Stammteil.

Seinen Weg in die Herzen der Menschen verdankt das Lied auch seinen biblischen Anklängen. Wer es singt, versetzt sich hinein in Maria, die sich hörend zu Jesu Füßen setzt und von ihm in Schutz genommen wird (Lukas 10,38-42); in Petrus, dem Jesus ankündigt, er werde seine Hände ausstrecken, „und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hin willst“ (Johannes 21,18); in Ruth, die Noomi verspricht: „Wo du hingehst, da will ich auch hingehen“ (Ruth 1,16); nicht zuletzt in den Psalmisten: „Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft“ (Psalm 62,2). Wer das Lied singt, erfährt sich in der kindlichen Bedürftigkeit, in die ihn Not und Trauer zurückgeworfen haben, von Jesus gerechtfertigt: „Wer sich selbst erniedrigt und wird wie dies Kind, der ist der Größte im Himmelreich“ (Matthäus 18,4).

Auch bei Trauungen ist das Lied häufig erklungen. Denn im Nehmen der Hände, im häufig als Trauspruch gewählten Wort: „Wo du hingehst .“, in der Aussicht „bis an mein selig Ende“ und in der Wendung „Freud und Schmerz“ klingen Ehemotive an. Die religiöse und die eheliche Anvertrauung erschließen und deuten einander, schon in der Bibel.

Julie Hausmann soll ihr Lied geschrieben haben, als sie ihrem Verlobten, einem Missionar, nachreiste, um ihn zu heiraten, und bei ihrer Ankunft in der Missionsstation erfahren musste, er sei jüngst gestorben. Die Geschichte, nicht sicher verbürgt, macht das tiefe Leid, das aus dem Lied spricht, anschaulich. Wer es in der Trauer singt, nimmt und gibt Anteil an persönlichem Leid. Der im Singen erfahrene Trost ist eine Frucht von Leid, das geteilt wird.

Martin Evang

  1. So nimm denn meine Hände und führe mich
    bis an mein selig Ende und ewiglich.
    Ich mag allein nicht gehen, nicht einen Schritt:
    wo du wirst gehn und stehen, da nimm mich mit.
  2. In dein Erbarmen hülle mein schwaches Herz
    und mach es gänzlich stille in Freud und Schmerz.
    Laß ruhn zu deinen Füßen dein armes Kind:
    es will die Augen schließen und glauben blind.
  3. Wenn ich auch gleich nichts fühle von deiner Macht,
    du führst mich doch zum Ziele auch durch die Nacht:
    so nimm denn meine Hände und führe mich
    bis an mein selig Ende und ewiglich!

Text: Julie Hausmann 1862
Melodie: Friedrich Silcher 1842
Fundorte: Evangelisches Gesangbuch (EG) Nr. 376 , Evangelisches Kirchengesangbuch (EKG) Nr. 529