Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr

Lothar Zenetti / Bernard Maria Huijbers

Eines der wenigen Klagelieder, die das Evangelische Gesangbuch enthält, ist das Lied 382. Es gibt der Trauer und dem Zweifel an Gottes Güte und Treue Raum. Am Ende steht kein Appell, endlich wieder zum Vertrauen auf Gott zurückzukehren, sondern die Bitte, dass Gott sich dem trauernden und zweifelnden Menschen neu zeigen möge. Die folgende Meditation der ersten Strophe soll Lust dazu machen, auch die weiteren zwei Strophen zu lesen oder zu singen.

Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr…
Ich fühle mich leer, Gott. Ausgebrannt. Die Trauerfeier liegt nun schon einige Wo-chen zurück. Dass so viele Menschen gekommen sind, war schön. Manche haben mir einfach stumm die Hand gegeben. Andere haben mich in den Arm genommen. Und auch die vielen lieben Briefe und Karten haben mir viel gegeben. – Aber jetzt sind die Menschen fort. Die Danksagungen habe ich verschickt. Ich bin allein. Allein mit den quälenden Fragen: Warum hast du sie mir weggenommen? Warum gerade jetzt? Wie soll ich denn alleine weiter leben? Meine Hände sind leer, Gott, meine Seele ist verwundet, mein Glaube schwach.

…fremd wie dein Name sind mir deine Wege.
Ich habe es ja gewusst: Irgendwann wird der Tod uns scheiden. Davon war bei unse-rer Hochzeit schon die Rede. Aber nun, da es geschehen ist, ist alles ganz anders. Ich fühle mich so allein, und selbst du, Gott, bist mir fremd geworden. Die Namen, mit denen ich dich früher einmal nannte – Vater, Hirte, feste Burg – diese Namen passen nicht mehr. Wer bist du, Gott? Sind das wirklich deine Wege, die ich in den letzten Wochen gehen musste und die zu gehen mir auch jetzt so schwer fällt?!

Seit Menschen leben, rufen sie nach Gott, mein Los ist Tod, hast du nicht andern Segen?
Neulich habe ich in der Bibel gelesen. Vieles darin ist mir verschlossen geblieben. Aber anderes habe ich entdeckt: An manchen Stellen kommen Menschen zu Wort, die genauso empfinden wie ich. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“, las ich in einem Psalm. Besonders gut fühle ich mich von Hiob verstanden. Als ein Freund ihn zu trösten versucht, antwortet er: „Auch heute lehnt sich meine Klage auf; Gottes Hand drückt schwer, dass ich seufzen muss.“

Bist du der Gott, der Zukunft mir verheißt? Ich möchte glauben, komm du mir entgegen.
Du bist mir fremd geworden, Gott, und deine Namen kann ich nicht mehr nennen. Deine Wege verstehe ich nicht. Und doch komme ich von dir nicht los. Ich möchte glauben. Ich möchte das verlorene Vertrauen zu dir wieder finden. Allein kann ich das nicht. Komm du mir entgegen!

Martin Dutzmann

  1. Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr;
    fremd wie dein Name sind mir deine Wege.
    Seit Menschen leben, rufen sie nach Gott;
    mein Los ist Tod, hast du nicht andern Segen?
    Bist du der Gott, der Zukunft mir verheißt?
    Ich möchte glauben, komm mir doch entgegen.
  2. Von Zweifeln ist mein Leben übermannt,
    mein Unvermögen hält mich ganz gefangen.
    Hast du mit Namen mich in deine Hand,
    in dein Erbarmen fest mich eingeschrieben?
    Nimmst du mich auf in dein gelobtes Land?
    Werd ich dich noch mit neuen Augen sehen?
  3. Sprich du das Wort, das tröstet und befreit
    und das mich führt in deinen großen Frieden.
    Schließ auf das Land, das keine Grenzen kennt,
    und laß mich unter deinen Kindern leben.
    Sei du mein täglich Brot, so wahr du lebst.
    Du bist mein Atem, wenn ich zu dir bete.

Text: Lothar Zenetti 1974 nach dem niederländischen »Ik sta voor U« von Huub Oosterhuis 1969
Melodie: Bernard Maria Huijbers 1964
Fundorte: Evangelisches Gesangbuch (EG) Nr. 382 , Gotteslob  (GL) Nr. 621