Meditation
Ein Mensch unter Menschen
Sich schuldig fühlen, sogar schuld sein. Andere sind da oft schnell mit ihren Vorwürfen und Anklagen zur Stelle. So auch in der Bibel in der Geschichte von Jesus und der Ehebrecherin (Johannes 8,1-11).
Die anklagende Menge bringt eine schuldige Frau zu Jesus. Sie will, dass sie gesteinigt wird.Und Jesus, was macht er? Er bleibt ruhig. Er bückt sich, schreibt mit seinem Finger in den Sand, also dorthin, wo alles schnell wieder ausgelöscht wird. Und dann sagt er schließlich: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.“ Keiner wirft daraufhin auch nur einen Kiesel nach der Frau. Alle gehen sie, einer nach dem anderen. Niemand verdammt sie. Auch Jesus klagt sie nicht an. Stattdessen sagt er zu ihr: „Geh hin und sündige hinfort nicht mehr.“
Was mag wohl in diesem Moment in der Frau vorgegangen sein? Was hat sie empfunden, als die Stimmen verstummten, die sie kurz zuvor noch steinigen wollten? Ich glaube nicht, dass sie sich nicht mehr schuldig gefühlt hat. Das Gefühl, schuldig geworden zu sein, lässt sich nicht so einfach wegwischen wie ein bisschen Dreck, der einem auf dem Mantel haftet. Das, was sie getan hatte, das konnte sie nicht mehr ungeschehen machen. Aber vielleicht hat sie ja in dem Augenblick, als alle weggingen und keiner sie verurteilte, sich wie ein Mensch unter Menschen gefühlt. Als ein Mensch,der wie alle anderen Fehler macht, der wie alle anderen nicht perfekt und darauf angewiesen ist, dass ihm vergeben wird. Vielleicht hat sie gespürt, dass da einer ist, der ihr vergibt. Bleibt die Frage: Hat sie sich selber vergeben können?
Carmen Berger-Zell