Die Pandemie und der Abschied

Das Virus schränkt Trauerfeiern ein und bringt ein Sterben ohne Begleitung mit sich. Reaktionen darauf sind Bestattungen via Video oder Appelle zu einem würdevollen Tod. „Und manchmal hilft nur, das Leid der Trauernden mit ihnen auszuhalten“, sagt Pfarrerin Elisabeth Müller aus Essen.

Das Video beginnt mit einer Standaufnahme: Vor dem Sarg aus hellem Holz und umgeben von Gestecken aus weißen Blüten und einem Herz aus roten Rosen ist ein Porträtbild des Verstorbenen aufgestellt. Dann treten Rednerinnen und Redner ins Bild, sie sprechen über das Leben des Verstorbenen, erzählen von seinen Hobbys und lesen Bibelstellen vor, die Trost und Beistand zusagen. Anschließend begleitet die Kamera den Sarg und die Trauergemeinschaft ans Grabfeld.

Mit Maske, Abstand und begrenzter Personenzahl

Beim Onlineportal „YouTube“ ist das Video der Bestattungsfeier fast fünfhundert Mal aufgerufen worden. Aufgenommen und hochgeladen hat es Bestatter Uwe Pfingst aus dem oberbergischen Bergneustadt. In den letzten Monaten hat er mit seinem Unternehmen aeterno Bestattungen rund 20 Bestattungen online gestellt. Die meisten seiner Videos sind nur über einen versendeten Link aufrufbar, die öffentlich einsehbaren Filme werden nach zwei Monaten ebenfalls auf diesen privaten Modus umgestellt.

Was ist online möglich? Darüber informiert unter anderem der Bundesverband Deutscher Bestatter e.V.

Bei den Schutzmaßnahmen gegen eine weitere Ausbreitung des Corona-Virus sind Trauerfeiern derzeit nur eingeschränkt möglich. Bei den Feiern in Gebäuden und auf dem Friedhof dürfen in Nordrhein-Westfalen derzeit nur 25 Personen mit Abstand und Maske persönlich dabei sein. Ähnlich ist das in den anderen Bundesländern, über deren jeweils aktuelle Corona-Schutzverordnungen der Bundesverband Deutscher Bestatter auf seiner Internetseite informiert.

Nachholen mochte die Feier bisher kaum jemand

In der leeren Kirche, mit Orgelmusik, Gebet, Segen und ihr als einziger Darstellerin hat Pfarrerin Elisabeth Müller von der Evangelischen Kirchengemeinde Essen-Haarzopf jeweils einen generellen Trauergottesdienst für einen verstorbenen Mann sowie für eine verstorbene Frau aufnehmen lassen und online gestellt. Mit den Videos können Menschen zuhause Abschied nehmen, vor allem dann, wenn ein Besuch in Kirche oder Kapelle aufgrund der Einschränkungen für sie nicht möglich ist.

Trauergottesdienste mit Liturgie, Gebet und Segen hat Pfarrerin Elisabeth Müller aus Essen-Haarzopf online gestellt

„Die große Feier mit vielen Gästen holen wir nach, wenn das wieder möglich ist“, das bekommt Pfarrerin Müller bei vielen Trauergesprächen zu hören. Doch ihre Erfahrung nach rund 50 Bestattungen in dieser nach einem Jahr immer noch andauernden Pandemie ist eine andere: „Niemand hat bisher die Trauerfeier nachgeholt, auch nicht im Sommer als größere Treffen zugelassen waren.“ Die Hinterbliebenen fänden sich mit dem erlebten Abschied ab, dieses Ritual sei für sie abgeschlossen: „Die Zeit für die Feier ist abgelaufen.“

Mitunter sind mehr als tausend Menschen online dabei

Die Menschen brauchen das Ritual ganz unmittelbar beim Verlust, das ist auch die Erfahrung von Bestatter Pfingst: „Bei der Bestattung eines jungen Mannes, die live über einen zuvor versendeten Link online zu sehen war, waren 200 Menschen digital mit dabei, in der Woche darauf wurde das Video der Feier zudem noch tausendmal aufgerufen.“

Auch sie erlebe derzeit einige Feiern, bei denen die Kirche normalerweise bis auf den letzten Platz besetzt wäre, sagt Pfarrerin Müller. Ein Video sei daher eine gute Alternative, ersetze jedoch nicht immer die große, persönliche Anteilnahme: „Die Aufnahmen sind eine Notlösung vor allem für die ältere Generation, bei der das Kommunizieren über digitale Medien nicht zum Alltag gehört.“ Für sie eigneten sich eher Tonaufnahmen oder Kopien vom Manuskript der Trauerrede.

Wen lade ich ein? Die Kontaktbeschränkungen erschweren diese Entscheidung

Generell gelte: „Es findet sich immer ein Weg für den individuellen Sterbe- und Trauerprozess.“ Jedenfalls war das in ihren vergangenen 30 Amtsjahren stets die Devise von Elisabeth Müller. Doch die Pandemie bringt sie an ihre Grenzen: „Derzeit finde ich keine praktikablere Lösung für die Menschen, deren Angehörige an Covid-19 verstorben sind, als das Leid mit ihnen auszuhalten.“

Sterben ohne Auskunft und Abschied

Seit vergangenem November häuften sich die tragischen Ereignisse. „An Corona erkrankte Menschen kommen ins Krankenhaus, andere infizieren sich erst dort mit dem Virus, wenn sie sterben, haben ihre Angehörigen sie nicht einmal mehr gesehen“, schildert die Pfarrerin. Auch wenn es der Überlastung des Klinikpersonals geschuldet sei, gebe es für Angehörige mitunter mangelnde oder als unsensibel empfundene Auskünfte am Telefon. „Und schließlich kommt die Mitteilung, dass der Mann oder die Mutter bereits in eine versiegelte Folie verpackt worden sei.“

Kein Aufbahren des Leichnams, keine Abschiednahme am offenen Sarg und damit kein letztes Berühren der Partnerin, kein letzter Blick auf den Vater: Das beinhalten die Empfehlungen des NRW-Ministeriums für Gesundheit, Arbeit und Soziales zum Umgang mit Verstorbenen, die an Covid-19 erkrankt waren. „Der Tod ist für die Hinterbliebenen somit nicht zu sehen, nicht zu spüren und damit überhaupt nicht zu begreifen“, sagt Pfarrerin Müller. Ob ein Leichnam gelagert werden könne, bis die Viren abgestorben sind, stände nicht zur Debatte und sei wissenschaftlich nicht abschließend untersucht. „Gesellschaft und Politik haben derzeit andere Belange und Probleme im Fokus.“

Was kann trösten? Stirbt ein Mensch an Corona, sind die Maßnahmen extrem belastend

Dass es keine belastbaren Daten zur Kontagiösität, also der Übertragungsfähigkeit, der Verstorbenen gebe, schreibt auch das Robert-Koch-Institut (RKI) in seiner Empfehlung und folgert: „Aus diesem Grund muss ein mit SARS-CoV-2 infizierter Verstorbener als kontagiös angesehen werden.“ Das RKI fügt aber ergänzend hinzu: „Obwohl der Infektionsschutz vorranging ist, sind die Anforderungen und Wünsche der Religionen und Weltanschauungen jedoch zu respektieren, und es sollte alles organisatorisch Erforderliche getan werden, um diesen soweit risikolos möglich zu begegnen.“ Wie das in der Praxis umgesetzt werden kann, beschreibt zum Beispiel Bestatter David Pütz-Roth aus Bergisch Gladbach in einem Interview mit dem evangelischen Magazin „chrismon“.

Den Tod akzeptieren, seine Umstände jedoch nicht

„Den Tod können wir nicht vermeiden, ihn müssen wir akzeptieren, wir können jedoch seine Umstände beeinflussen“, sagt Pfarrerin Müller. Und sie appelliert daran, die in den vergangenen Jahrzehnten erreichten Erfolge der Engagierten aus Trauerdiensten, Hospiz- und Palliativarbeit durch die Pandemie nicht ins Hintertreffen geraten zu lassen: „Das würdevolle Sterben und Trauern muss weiterhin möglich sein.“

Text: Sabine Eisenhauer
Fotos: Bundesverband Deutscher Bestatter e.V.

09. Februar 2021