Die Glocke schlägt viermal zwei Glasen

Für Menschen mit großer Verbundenheit zum Meer ist eine Seebestattung attraktiv – auf den Nordseeinseln gibt es sie regelmäßig. Pfarrer Jörg Schulze von der Evangelisch-lutherischen Christus-Kirchengemeinde Borkum berichtet:

Im Burkanahafen auf der Borkumer Reede liegt die Motoryacht bereits am Anleger und erwartet die Passagierinnen und Passagiere. An Bord des liebevoll restaurierten Schiffs mit seinem einladend gestalteten Salon ist Platz für etwa 15 Personen. Die Urne steht bereits für alle gut sichtbar an einem herausgehobenen Platz. Die Seefahrt mit Trauerfeier und Bestattung dauert insgesamt etwa ein- bis eineinhalb Stunden.

Während Menschen, die den Wald liebten, sich oft in einem Friedwald beisetzen lassen, ist für Menschen mit einer großen Verbundenheit zum Meer eine Seebestattung attraktiv. Das gilt allemal für Menschen, die Zeit ihres Lebens am Meer gelebt haben, vielleicht sogar beruflich zur See gefahren sind oder eng mit der Seefahrt verbunden waren.

Eine Beziehung zum Meer

Viele Menschen haben keine Beziehung mehr zum traditionellen Friedhof, der über viele Generationen ein Trostort gewesen ist, an dem sie sich ihren verstorbenen Lieben nahefühlten. Hinzu kommt die zunehmende Mobilität der Menschen: Die Hinterbliebenen leben nicht mehr an den gleichen Orten, an denen die Verstorbenen gelebt haben. So entsteht ein großes Bedürfnis nach Bestattungsmöglichkeiten, die keine Grabpflege benötigen, die aber zugleich mit dem Leben der Verstorbenen in Beziehung stehen.

Auf der Nordseeinsel Borkum kommen Seebestattungen regelmäßig vor und werden meistens von einem Pastor oder einer Pastorin begleitet. Entweder gibt es vorher eine öffentliche Trauerfeier in der Friedhofskapelle, nach der der engere Familienkreis hinaus zum Hafen fährt, oder die Trauerfeier findet im kleinen Kreis direkt an Bord statt.

Die Koordinaten der Urne

Hat die Motoryacht auf der Borkumer Reede abgelegt, gibt der Kapitän zunächst einige Informationen zum Verlauf der Fahrt und dem Bestattungsort, nennt dessen genaue Koordinaten, wenn dies vom Verstorbenen oder von der Verstorbenen gewünscht wurde, weil der Partner oder die Partnerin dort auch schon bestattet ist. Dann heißt es Leinen los, und die Fahrt beginnt.

Sofern noch keine Trauerfeier stattgefunden hat, ist nun Gelegenheit, sie in freier oder klassischer Form, mit oder ohne Lesungen, mit oder ohne Gesang zu halten. Die Einzelheiten wurden mit den Angehörigen vorher abgesprochen. Ansonsten nutze ich die Zeit für ein erweitertes Seelsorge-Gespräch mit den Angehörigen im Plauderton: Ich frage Kinder, Enkel, Nichten, Neffen, Geschwister nach ihren Erlebnissen mit dem oder der Verstorbenen, sodass manche Geschichte erzählt und manchmal auch herzhaft gelacht wird.

Mit Kranz oder Gebinde zu Wasser gelassen

Spätestens wenn die navigierte Position erreicht ist, ziehe ich meinen Talar über, sofern ich ihn nicht schon trage, weil die Trauerfeier unter Deck stattfand. Dann nimmt der Kapitän die Urne aus ihrer Halterung und lädt die Angehörigen ein, ihm an Deck zu folgen. Die Urne findet nun einen neuen und sicheren Platz auf der Reling. Die Schiffsbewegungen sind manchmal heftig, sodass die Urne stabil stehen muss, um nicht vorzeitig „über Bord zu gehen“. Nun wird die Trauerfeier fortgesetzt mit Lesung, Gebet, Vaterunser und Segen.

Danach ist der Kapitän dran: Er erklärt noch einmal die Einzelheiten, etwa dass sich die Urne innerhalb von 48 Stunden im Wasser auflösen wird, er trägt ein paar Gedanken vor, liest manchmal ein Gedicht. Dann wird die Urne mit Kranz oder Blumengebinde zu Wasser gelassen. Langsam saugt sie sich voll Wasser, bis sie endlich untergeht.

Viele Hinterbliebene schauen später am Meer auf die Stelle,
an der die Urne ins Wasser gelassen worden ist

Nun schlägt der Kapitän mit der Schiffsglocke viermal zwei Glasen, insgesamt acht Schläge. Dann geht er ans Ruder und fährt mit der Yacht einen Kreis um die Stelle der Beisetzung und lässt das Schiffssignal ertönen. Die Angehörigen haben vorher ihre Blumen ins Wasser geworfen und stehen andächtig, berührt und schweigend an der Reling, bis sich das Schiff langsam vom Ort entfernt.

Die Rückfahrt ist der üblichen Trauerkaffeetafel an Land vergleichbar. Manchmal gibt es Kaffee und Kuchen. Vor allem ist die Stimmung nun gelöster und der Alltag zieht auch in den Gesprächen wieder ein. Nach 30 Minuten haben wir den Hafen erreicht, und die Trauergesellschaft verabschiedet sich, zum Teil dankbar, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Manch einer der Mitfahrenden hatte während der Fahrt mit Übelkeit zu kämpfen.

Ein Denkmal als Ort der Trauer

Die Sehnsucht nach einem Trauerort bleibt auch bei einer Seebestattung bestehen. Einige Trauernde gehen regelmäßig ans Meer und sehen in Richtung der Stelle, an der die Bestattung stattgefunden hat. „Am Meer bin ich ihm oder ihr ganz nah“, so sagen mir Trauernde. Aber es gibt auch ein Seebestatteten-Denkmal auf Borkum, ein großer Stein in Form einer Welle direkt an der Friedhofskapelle, auf dem Messingtäfelchen mit den Daten der Verstorbenen angebracht sind und an dem Blumen abgelegt werden können.

Immer wieder erlebe ich allerdings, dass Hinterbliebene, besonders der Partner oder die Partnerin, unter der Anonymität der Seebestattung leiden. Sie haben diese Form oft stillschweigend akzeptiert, weil der Verstorbene sie zu Lebzeiten für sich gewünscht hatte.

Die Zahl der Seebestattungen ist in den letzten Jahren rückläufig. Viele wählen stattdessen die Bestattung in einer von der Friedhofsverwaltung gepflegten Urnengemeinschaftsgrabanlage, die es auch auf Borkum gibt und bei der der Ort der Beisetzung durch eine Platte oder ein Grabmal kenntlich gemacht worden ist. So muss sich niemand um die Pflege kümmern, dennoch gibt es ein Grab, das besucht werden kann.

Text und Fotos: Jörg Schulze, Pastor der Ev.-luth. Christus-Kirchengemeinde Borkum

19. August 2020