Den Boden wieder spüren

Der Frühling kommt, die Natur erwacht zum Leben. Beim Wandern und Pilgern erleben trauernde Menschen das gemeinsam – und schöpfen daraus Kraft für den Alltag.

„Die Erde tut sich auf.“ Nach dem Verlust eines nahestehenden Menschen ist dies ein Gefühl, das Trauernde kennen. „Mir selbst hat das Spazierengehen nach dem Tod meines Mannes geholfen“, erzählt Britta Laubvogel, Referentin für Bildungsarbeit im Dekanat Wetterau in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). „Beim Gehen wird der Boden wieder spürbar und es wird erlebt, dass die Erde einen trägt“, sagt sie. Die Sozialpädagogin und Sozialarbeiterin bietet daher mit dem Dekanat und der Inneren Mission Frankfurt regelmäßig Pilgertouren für Trauernde an. Die nächste führt am 9. Mai 2019 von der Pilgerkirche der Johanniter in Niederweisel nach Bad Nauheim.

Pilgern: Eine Reise nach innen

Ein Segen zu Beginn, Impulse durch Texte auf dem Weg und gesungene Lieder in den Kirchen an der Strecke gehören zu den Pilgertouren. Zu ihnen sind Teilnehmende aller Konfessionen und Religionen eingeladen. „Es sind Reisen nach innen“, erklärt die ausgebildete Pilgerbegleiterin Britta Laubvogel. Da werde dann zum Beispiel der Bibelvers „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“ aus Psalm 31 gelesen. Und beim anschließenden und schweigenden Gehen könne dann eine Zeit lang über die Fragen „Was mache ich mit der Weite?“ oder „Wo sind meine Engpässe?“ nachgedacht werden.

Auch Grenzen werden beim Pilgern erfahren. „Wenn etwa der Rucksack zu schwer wird, taucht die Frage nach dem überflüssigen Ballast auf, den ich auch sonst im Leben mit mir herumtrage“, sagt Britta Laubvogel. Eine weitere Erfahrung sei das Überwinden von Grenzen: „Es gab schon Teilnehmende, die aufhören wollten, weil ihr Rücken schmerzte.“ Getragen von der Gemeinschaft sei das Pilgern dennoch durchgestanden worden – und der Schmerz schließlich verschwunden. „Das wiederum bestärkt die Pilgernden, sich ebenso dem Trauerschmerz zu stellen, um anschließend Trost zu erfahren.“

Eine Frage des Alters ist das Pilgern nicht: Die bisherigen Teilnehmenden der Touren von Britta Laubvogel sind zwischen 35 und 75 Jahre alt. „Sie erleben es als bereichernd, mit ebenfalls Trauernden unterwegs zu sein, denen sie die Gefühle ihres Verlusts nicht erklären müssen.“

Wandern: Der Körper wird locker, der Kopf frei

Das erfahren auch die Menschen, die beim Wandern für Trauernde mit Tabitha Oehler von der Trauerseelsorge im Dekanat Darmstadt-Land in der EKHN durch die Natur streifen. „Jeder weiß, was der andere empfindet – und das gibt Kraft“, sagt die ausgebildete Trauerbegleiterin Tabitha Oehler. Seit fünf Jahren wird in dem Dekanat zwei Mal im Jahr zu solch einem Spazierweg eingeladen. Die nächste Tour führt am 19. Mai 2019 auf einem Rundweg durch den Odenwald.

„Natur und Bewegung tun der Seele gut“, meint Tabitha Oehler. Der Körper werde locker und der Kopf frei, beschreibt sie es. Das Aufblühen der Pflanzen, die Schönheit einer Blume oder der Anblick eines Waldes am Horizont werden entdeckt und wecken Hoffnung. „Denn oft hatte man die Schöpfung in der Trauer nicht mehr wahrgenommen und die Welt wie durch einen Schleier betrachtet“, sagt die Trauerbegleiterin.

Die Wanderungen über etwa zehn Kilometer werden bewusst an Sonntagen angeboten. „Denn dann erleben trauernde Menschen ihr ungewolltes Alleinsein als ganz besonders schmerzlich“, weiß Tabitha Oehler. Nicht selten zögen sich nämlich befreundete Paare zurück und alleine wolle man ungern unterwegs sein. Mit Gleichbetroffenen etwas unternehmen zu können, sei daher eine Bereicherung. „Auf einer leichten und nicht zu langen Strecke kommt man ins Gespräch, tankt Kraft und macht dabei einfach mal eine Pause vom Traueralltag.“

Zu den Wanderungen gehören Picknicks zwischendurch und eine Einkehr am Ende der Strecke. Und dabei geht es in den Gesprächen dann oft um den einen Gedanken, der viele trauernde Frauen und Männer bewegt: „Darf ich das genießen, obwohl doch der Mensch an meiner Seite gestorben ist?“ Zu erleben, dass man das darf und kann, sei ein weiterer Gewinn solcher Ausflüge, sagt Tabitha Oehler.

Einige anstehende Wander- und Pilgertouren für Trauernde:

  • 5. bis 7. April 2019: Trauerpilgern auf dem fränkischen Jakobsweg von Würzburg nach Uffenheim mit dem Evangelischen Erwachsenenbildungswerk Rothenburg ob der Tauber. Pilgerbegleitung u.a. durch Pfarrer i.R. Ernst Schwab, Klinikseelsorger und Gestalttherapeut. Anmeldung unter Tel. 09867 724 oder ebw@rothenburgtauber-evangelisch.de
  • 13. April 2019 und 20. Juli 2019: Trauerwandern beim Evangelischen Bildungswerk Neu-Ulm, Start ist jeweils ab 14 Uhr in Günzburg. Anmeldung beim Raphael Hospizverein Günzburg e.V. unter Tel. 08221 367616. 
  • 3. bis 5. Mai 2019: Gehen-Trauern-Wandeln: Pilgern mit Trauernden auf dem Jakobsweg von Bad Grönenbach nach Oberstaufen in Bayern mit dem Bildungs- und Begegnungszentrum der Klinikseelsorge im Bistum Augsburg. Informationen unter Tel. 0821 450171200 oder sekretariat@annahof-evangelisch.de.
  • 9. Mai 2019: Trauerpilgern von Niederweisel nach Bad Nauheim in Hessen über ca. zwölf Kilometer. Anmeldung bei Britta Laubvogel unter Tel. 06031 16154-18 oder britta.laubvogel@ekhn-net.de.
  • 19. Mai 2019: „Wandern für die Seele“ auf einem Rundweg durch den Odenwald in Hessen von 9 bis 17 Uhr. Anmeldung bei Tabitha Oehler unter Tel. 06150 15182 oder t.oehler@trauerseelsorge.de
  • 2019: Der Verein  Augsburger Hospiz- und Palliativversorgung e.V. bieten in diesem Jahr mehrere unterschiedliche Wanderungen für Trauernde an. Informationen und Kontakte gibt es auf der Internetseite.

25. Februar 2019